Lust auf etwas Nostalgie? Langweilig? Nein, es lohnt sich. Wir werden über Käfer reden und andere mobile Dinge aus dem Leben. Von mobilen Träumen aus den 1960er und 1970er – Jahren und wie sie die Hersteller gerne gesehen hätten. Kommen Sie mit auf diese Zeitreise!
Von 69biit, dem neuen Autor von autosleben
Wie komme ich dazu?
Mein Tropfen Benzin im Blut entstammt vom Grossvater mütterlicherseits ab. Der war Lehrer, und, was fast noch wichtiger ist in diesem Zusammenhang, Redakteur einer vergessenen Fachzeitung: Motor und Sport. Offizielles Blatt des Schweiz. Auto- und Motorradfahrer-Verbandes, den es auch nicht mehr gibt.
In dieser Funktion wurde mein Grossvater stets mit viel Pressematerial der Autoindustrie beliefert. Das Meiste davon ist leider seit seinem Tod abhanden gekommen. Geschenkt wanderte jedoch immer wieder einmal ein Teil davon zum Enkel. Heute nun geht es mir darum, diesen historischen Blätterwald wegzuräumen, in bessere Hände zu geben. Vorher möchte ich aber noch einige schöne Eindrücke veröffentlichen und aus heutiger Sicht betrachten.
Natur: beliebter Hintergrund für das Auto
Auffallend: eine grosse Menge Fotos entstanden in der Natur. Man stellt den Karren einfach mal auf einen schönen Rasen, macht doch was her. Vielleicht noch ein bisschen Berg in den Hintergrund, das gefällt doch. Oder einen blühenden Apfelbaum neben das Heck, damit das Auto frischer wirkt. BMW fuhr seine neue Heckschleuder 520 sogar in die Skiferien, ausgerechnet…
In den Siebzigern erlitt das Auto zunehmende Imageprobleme wegen seiner Umweltschädlichkeit. Es war nicht mehr möglich, die Wagen ins Grüne zu stellen. Die Natur wich der neuen, künstlichen Ästhetik der 80er-Jahre mit viel Studiofotografie und farbigen Uni-Hintergründen. Der Sicherheits-Prototyp von Fiat zeigt es früh vor, schliesslich will er in die Zukunft weisen mit seinem „2000“ im Namen.
Moderne: zukunftsweisende Autos gehören in neue Umgebungen
Eine bemerkenswerte Fotografie aus mehreren Gründen: nächtlicher, urbaner Chic… Auch wenn nur zwei kleine, aber innovative Renault 6 in der „Défense“ von Paris parken.
Frauen: ein Muss, vor allem bei extrem langweiligen oder sehr sportlichen Autos
Sie haben ein veraltetes oder zahmes Modellprogramm? Stellen Sie einfach eine junge, modisch aufgetakelte Schönheit hin und schon ist auch der Käfer wieder „hip“. Sicher…?
VW hat dieses Muster in den Sechzigern serienweise abgebildet. Das zeigt die Not der Firma. Die Zahlen gingen langsam bergab und man hatte (noch) keine Antwort darauf.
Zum Glück bringen die amerikanischen Hippies den Buggy und damit einen coolen Verwendungszweck für alte Käfer-Chassis. Das Bild zeigt alle möglichen Verwandlungen einer simplen Bodengruppe.
Nüchternheit, distanziert betrachtet
Deutschlands älteste Autofabrik war zwischen den 60er – und 80er – Jahren sehr von der Technik geprägt. Die Autos sollten überlegen und stolz wirken. Mercedes präsentierte die damals neue S-Klasse so: ohne Beigemüse, nüchtern und durchs Teleobjektiv gesehen. Technik als Verkaufsargument, gezeigte optische Distanz zu den Volks – Automobilen. Einfache Bildsprache. Das Motiv soll wirken.
Ein weiteres Beispiel: der neue Fliessheck – VW. Betont lebloses Bild, fast wie gezeichnet, ohne Hintergrund. Sorgfältig ausgeleuchtet, dass der Innenraum und der Chromschmuck Geltung bekommt. Diese Studioarbeit aus Mittel- und Grossformatkameras entsprechen einer Industrieästhetik der Jahrhundertmitte.
Exklusivität benötigt exzellente Fotografie
Prächtig gestalteter Innenraum, perfekt scharf abgelichtet: Jensens Interceptor.
Kleines Modellprogramm? Dann stellen wir doch einfach alle Versionen hin!
Wow! So ein breites Angebot? Beim näheren Hinschauen stellt sich heraus, dass wirklich jede Modellvariante in allen Motorisierungen gezeigt wird. Dieses Bild finde ich lustig, weil es Tatsachen vorgaukelt, die da nicht sind. Simca-Range….!
Schauen Sie heute mal eine KIA – oder Subaru – Werbung an. Man ist stolz auf sein (grosses) Programm und zeigt es auch. Das gibt es immer noch. Ist so was denn nötig?
Wir sind sicher und zeigen dies auch
Wissen Sie noch, was eine Stossstange ist? Nein? Googeln Sie einmal einen Volvo 244.
Solche Leitplanken im Gesicht tragen heute nicht mal mehr Lastwagen. Aber Volvo hatte noch anderes zu bieten: hübsche schwedische G….urten, oder schöne Spiegel-Spielereien à la Robert Mapplethorpe (den dürfen Sie auch mal googeln). Ein Volvo ist wie eine Burg.
Genau so wird geknippst: nüchtern, hochwertig, statisch.
VW macht den Nasenbär dynamisch
Das grösste europäische Autolabel hatte den Käfer und seinerzeit Lust, vom wirtschaftlichen Aufschwung der Sechziger zu profitieren. Leider war da nur der Heckmotor. Und VW konnte damals nicht anders. Also machte man mehr Blech hin, vergrösserte den Heckmotor und schuf den schrulligen VW 411. Für VW – Verhältnisse in den Sechzigern war dieses Modell ungeheuer schnell, sah aber nicht so aus. Lösung? Wir „bewegen“ die Kamera und zeigen das Modell flott in Fahrt. Erfolg? Gleich Null. Das gute, aber schon beim Erscheinen veraltete Modell floppte gnadenlos.
Abschliessend etwas Heimisches: Monteverdi. Das wohlklingende Label klebte auf exklusiven Coupés und Cabrios aus Binningen, Basel. In Handarbeit veredelte Chrysler-Chassis mit unverschämt grossen Motoren und italienischen Linien wie hier beim 375L. Schweizer Wertarbeit. Zum Anhimmeln, nicht? Leider Nostalgie. Wie alle diese zeitgeistigen Bilder. Alt, aber gar nicht langweilig.
Vielen Dank für die tollen Pressefotos und die Einsortierung der Gestaltung dazu. Unterbewusst nimmt man bestimmte gestalterische Mittel zwar wahr, aber beim genaueren Betrachten, kommen Moden und Geschmäcker einzelner Häuser besonders gut heraus.
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Dankeschön. Das ist das Lustige an der Fotografie: sie ist nie komplett befreit vom Zeitgeist.
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Sehr schöner Bericht und eine tolle Zeitreise mit den Fotos.
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