Schuld sind immer die anderen – oder wie man wieder zu einem US-Klassiker kommt

Menschen die Fehler zugeben, sind mir sympathisch. Um zur Erkenntnis zu gelangen, dass man in den allermeisten Fällen an etwas mindestens mitschuldig ist, muss man in der Regel einige Jahrringe gesammelt haben. Das ist dann auch keine Garantie. Also, im vorliegenden Fall geht es – erraten – um Autos. Und die „Schuldigen“ sind: Ein norwegischer Schriftsteller und ein verschimmelter 2nd-Generation-Firebird. Und ich. Eigentlich war ich mit dem Fuhrpark des Hauses sehr zufrieden und zu dem gehört der weisse Volvo-Kombi von 1972 (Der weisse Riese – Leben mit dem Volvo 145 Kombi; Der weiße Riese – 44 und ein bisschen leise(r)).

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Buchcover der schwedischen Ausgabe

In unserem Schwedensommer kaufte meine Frau das Buch „Hästkrafter“ von Lars Mytting, besagtem Norweger. Der ist vor allem durch sein Buch „Der Mann und das Holz“ bekannt, er hat aber auch zwei schöne Romane geschrieben. Auf deutsch ist das obige Buch auch erhältlich und heisst dort profan „Fyksens Tankstelle“. Der Protagonist betreibt irgendwo in der norwegischen Provinz eine kleine Werkstatt mit Tankstelle und hat einen riesigen Fundus an Original-Ersatzteilen (NOS). In seiner Jugend fuhr er einen roten 1967er Pontiac GTO (darum geht’s im Buch gar nicht, sondern um die Liebe und der automobile fil rouge ist ein Facel Vega). Seit dem Film „Bandits“ – nein, mit „s“, also nicht mit Burt Reynolds sondern Bruce Willis, waren die A-bodies der Jahrgänge 1966 und 1967 des GM-Konzerns mein automobiler Olymp. Sie lösten damit meine Jugendfavoriten 1957 Chevrolet Bel Air und 1958 Buick Century ab.

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1967er Pontiac GTO – der hidden champion in „Bandits“ (2001)

Als nun der Herr Mytting über Achtzylinder und eben den 67er „Goat“ schrieb, begann die kleine (unbarmherzige) Flamme der automobilen Begierde zu brennen. Daran, das Buch gelesen zu haben, bin ich selbst schuld. Für den zweiten „incident“ konnte ich nun wirklich nichts und das kam so: Rund um die Vorbereitungsarbeiten für unser lokales Herbstfest stiess ich in einer Garage zufällig auf einen zur Schimmelpilzzucht verkommenen Pontiac Firebird Formula von 1973. Das war ja der letzte Jahrgang wo die DOT und EPA noch nicht völlig durchgedreht waren und die Motoren ihre Leistung noch einigermassen entfalten durften (ich bin ja einschlägig vorbelastet – Vorgänger des Volvo war ein ’76er Firebird Formula 400). Und hier stand sogar einer mit dem 455CID Motor und echtem Ram Air.

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Der charaktervolle 73er Pontiac Firebird Formula 455 fristet ein tristes Dasein

Hätte ich nicht bei den Vorbereitungsarbeiten zum Fest teilgenommen, hätte ich den Poncho nicht gesehen und es hätte sich auch nicht mein „den musst du unbedingt retten“-Trieb entfaltet.

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Eine Schande. Schimmel und Stockflecken wohin man sieht. Man beachte das originale eight-track Tonbandgerät in der Mittelkonsole

So gab ich mich denn der naiven Hoffnung hin dass, wer so ein Auto so vergammeln lässt, kein Interesse daran haben kann. Ich fand heraus, wer der Halter ist und drohte ihm mit fürsorgerischem Freiheitsentzug seines Vogels. Statt ihn mir zu verkaufen meinte er, er würde ihn im Frühjahr herrichten, aber danke für den Hinweis. Da war nichts zu machen. Aber es war schon zu spät. Den Volvo in Ehren (echt geniales Auto, vor allem das Design), aber er hat halt vier Zylinder zu wenig zwischen den Vorderrädern. Ich hatte ja schon einiges an Lehrgeld für Hals-über-Kopf Autokäufe bezahlt und wollte dieses Mal alles richtig machen. Mit einem Kriterienkatalog für einen 66-67er GTO oder 68er 1st Gen Firebird kontaktierte ich zwei Händler, welche US-Autos importieren. Ja, das sei schon machbar und sogar mein Budget löste kein Hohngelächter aus. Aber, es werde eben viel Schindluder getrieben und ein seriöses Vorgehen bedingt eine vor-Ort-Inspektion – und zwar nicht durch den geneigten Käufer, der ist im Zweifelsfall nicht mehr urteilsfähig. Oder auch gar nicht kompetent. Entlang des Weges durfte ich (in der Schweiz) eine 67er Chevrolet Chevelle Cabrio probefahren und wäre der Versuchung fast erlegen.

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Dem gestrengen Mechaniker-Auge entgeht nichts. Es war aber auch dem Laien klar, dass hier zu viel nicht stimmte

Aber a) brauchte ich kein Cabrio und b) hatte der Wagen die nicht so prickelnde 2-Gang-Powerglide Automatik. Aber wieso plötzlich ein Chevy? Die Chevelle ist eben auch ein A-body und somit Cousine des GTO. Und im Empfinden meiner Frau und mir mit dem viel aufregenderen Kühlergrill. Der Händler hatte aber auch noch eine 1966er Chevelle SS in der richtigen Farbe auf Lager – im Projektstadium allerdings. Na, das klang doch perfekt! Dem beigezogenen Mechaniker (Robin von http://www.klassikerwerkstatt.ch) und mir bot sich bei der Inspektion aber ein Bild des Grauens. Überall Rost, schlecht eingeschweisste A-Säulen, Reparaturbleche über die rostigen Originale gepappt. Wir nannten ihn fortan das U-Boot und ohne ein Säure-Tauchbad wäre keine seriöse Restauration möglich. Diese wäre aber bei der Preisvorstellung des Verkäufers ruinös gewesen.

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Beispiel einer Seite aus dem Inspektorenbericht. Standardisiert und detailliert. Ca. 200 Fotos und Kostenpunkt ca.500 US-Dollar. Jeden Cent wert!

Also weiter. Mit Roli Birchler von der Indygarage in Boniswil (www.indygarage.ch) fand ich einen engagierten und geduldigen Partner, der mir fortan half. Ich lieferte ihm einige Links zu US-Annoncen mit der Bitte um Beurteilung. Der GTO – normalerweise etwas teurer als die SS-Chevelles – trat in den Hintergrund. Ein Problem für mich war, dass jeder, der etwas auf sich hielt, sein muscle car mit Handschaltung geordert hatte. Und ich wollte unbedingt einen Automaten. Leistung und Dynamik sind mir wurscht, ich will genüsslich cruisen. Punkt. Zwei Wagen genügten Rolis Ansprüchen und wir boten Inspektoren auf, mit denen er schon lange zusammenarbeitet.

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Ein klassischer „ten foot paintjob“: Hammermässig aus drei Metern… Aber im Detail mies und die Rostflicken im Unterboden mangelhaft repariert.

Die zogen los, schossen zig-hundert Fotos und lieferten Berichte, welche mich an den Erfolgsaussichten meines Vorhabens zweifeln liessen. Klassische Blender, hübsch aufgemacht aber mit schlecht reparierten Roststellen, bläschenbildendem Lack und weissem Rauch aus dem Auspuff. Und das bei tiefem Kühlwasserstand – was das wohl bedeuten könnte?

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Der Kühler war halbvoll und weisser Rauch kam aus dem Auspuff. Man beachte den stolzen asking price auf der Windschutzscheibe. Bei einem guten Auto wäre er fair.

Alles Dinge, welche man auf den schönsten HD-Bildern der Verkäuferschaft eben nicht sieht. So weit so schlecht, den so eine Inspektion kostet schon etwas. Dann kam plötzlich der schönste GTO daher, den ich je gesehen hatte: Schwarzes Intérieur, Lack in signet gold und schwarzem Vinyldach.

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Hier war der Tiger im Tank – und der Wurm drin. Schlecht verklebte Windschutzscheibe und die Uhr ging nicht. Sonst alles gut – aber cash is king und die Schönheit war gone in 60 seconds.

Boah! Hauptsache A-body. Also, wieder Inspektor hin und der US-Partner hinterlegte sogar ein Deposit, damit mir bei Gefallen keiner die Mühle vor der Nase wegschnappt. Und es kam, wie sich mein kleiner Zeh von Anfang an geäussert hatte, genau so. Sorry, da kam einer und hat hat den sticker-price bezahlt, ihr wolltet ja noch über den Preis verhandeln. Geht’s noch? Wenigstens die Gelegenheit hätten sie einem bieten sollen. Aller Trost von Ehefrau und Freunden half nichts, ich war bodenlos enttäuscht. Aber, man lässt sich ja nicht so einfach unterkriegen, wäre ja gelacht und innert vierundzwanzig Stunden hatte ich das ultimative Objekt gefunden. Wiederum eine Chevelle Super Sport, dieses Mal 1966 in „aztec bronze“ und es stimmte mindestens optisch alles. Auch die Inspektion brachte keine wirklich groben Mängel zum Vorschein.

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Die 66er Chevelles haben m.E. das schönste Gesicht. Auf die Farbe „aztec bronze“ darf man sich freuen – in der Sonne sicher eine Augenweide. Die Farbqualität ist auf jeden Fall gut.

Klar, eine hunderprozentige Sicherheit gibt es nie. Erstens sind fünfzig Jahre auch für robuste Konstruktionen kein Pappenstiel und man kann auch gut pfuschen und ein Auto hübsch aussehen lassen. Der Preis lag am obersten Ende, denn Motor und TH-400-Automatik waren zwar aus einer Chevelle, aber mit jüngerem Jahrgang. Also nix mit matching numbers. Aber, wie Forumskollege Marc sagte, „was kümmern dich matching numbers beim Fahren?“.

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Stilvolles Intérieur in Schwarz mit viel schönem Chrom.

Wo er recht hat, hat er recht. Aber dann sollte man wenigstens nicht die Prämie dafür zahlen müssen. Die äusserst zähen Verhandlungen zogen sich über eine Woche hin. Die obengenannte „Flamme“ brannte heiss und ich ging (besonders unter dem Eindruck des geplatzten GTO-Deals) die Wände hoch.

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Letztes Überbleibsel aus den Fünfzigern – die Chromrippe auf der Kühlerhaube

Als Verhandlungspartner trat immer nur unser Partner in Amerika auf, es empfiehlt sich nämlich offenbar, sich nicht als „overseas-buyer“ zu outen. Aktueller Stand der Dinge ist nun, dass diese Schönheit auf die wohl längste Reise ihres Lebens geschickt wird. Demnächst in diesem Theater, also.

Als kleine Fussnote sei angefügt, dass der Volvo wieder zu seinem Verkäufer zurückgekehrt ist – meinem coolen Namensvetter bei http://www.classic-autos.ch. Mit neu aufgepolsterten Vordersitzen (wenn ihr mal einen richtig guten Sattler braucht: Roger und Fränzi Allemann von http://www.bevora.ch) und einem Overdrive-Getriebe (hier bekam ich massig Hilfe von Robin bei http://www.klassikerwerkstatt.ch). Nach Ankunft des Chevys wird hier selbstverständlich ein Bericht erscheinen (Teil 2).

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Per Mitte Dezember stand „Mademoiselle“ in Baltimore und wartete auf die Verschiffung in Richtung Europa!

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