Der weisse Riese – Leben mit dem Volvo 145 Kombi

„At the end of World War II, the Swedes took their tanks, put little lights on the corners, and called them VOLVO“, so die Überlieferung. volvo 145_5

Gastbeitrag von heftychris

Das hat zweifelsohne etwas, auch wenn die Fahrzeuge aus den Torslandaverken bei Göteborg bis Ende der Sechziger eher rund waren. So richtig zutreffend wird das erst bei der Generation 140, ab 1966. Der kantige Nachfolger des heute viel weiter verbreiteten 120er (Amazon), markierte eine Wende im Design der kühlen Nordmänner. Ok, der Brit-Volvo P1800 lebte noch einige Jahre weiter, aber der Hauptharst der Produkte wurde eckig. Zuerst kam ein Viertürer, danach folgte der sehr beliebte 142 mit 2 Türen. And then came the brick – XL. Ungefähr so, wie ein 8-Jähriger einen 144er weiterzeichnen würde. Dachlinie ab den Hintertüren mit dem Massstab horizontal nach hinten ziehen und dann senkrecht runter, fertig ist der Kombi. Und das ist in etwa, was die Entwickler bei Volvo gemacht haben… Sogar auf eine Anpassung der hinteren Türen hat man praktischerweise verzichtet. Ein Designelement der besonderen Art. Einher mit den zwei Strichen ging ein Stauraum, der heute seinesgleichen sucht. Mein Exemplar ist sogar ein Siebenplätzer.

7-Plätzer Modell Seventies

7-Plätzer

Das klappt wirklich und buchstäblich, denn das Sitzbänkchen klappt man aus dem Ladeboden hoch. Das muss für Passagiere jeden Alters – besonders Kinder – ein Genuss gewesen sein, den Hintermännern Grimassen zu schneiden. Ok, täte heute keiner mehr, man wäre ja am Smartphonedaddeln.

Das Wort „Volvo“ ist ja schon fast ein Anagramm und so verhält es sich auch mit den Ansichten wie die folgenden Bilder zeigen. Von hinten wie von vorne fast gleich mit ordentlich klaren Ecken und Kanten. Eines meiner Lieblingslieder in den Achtzigern war übrigens „living in a box“ von der gleichnamigen englischen Popgruppe. Und heute ist ja“ thinking outside the box“ in aller Munde.

Volle Kante!

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Bei Volvo teilten sich 140er und 120er nebst den Motoren grosse Teile der Baugruppe und das tat offenbar das Seine dazu, dass es heute mehr Amazonen als Bricks gibt. In den Achtziger- und Neunzigerjahren wurden viele 140er ausgeschlachtet um Amazonen zu retten, die schienen halt irgendwie mehr sexy mit ihren hübschen Rundungen. So richtig handfest ging es bei den 140ern eigentlich erst zum Schluss, ab 1973/74 zu und her. Die bisher filigranen Armaturenträger und Stossstangen wichen grobem Plastik und oberschenkeldicken Mega-Stossfängern. Auch irgendwie cool und da können wir anknüpfen. Genau so ein Dicklippen-144er kam nämlich 1974 in unsere Familie, vorher war man auf VW eingeschworen, zum Schluss in Form eines avantgardistischen K70. Was genau den Wechsel motivierte bleibt unklar, aber wer mit einer Schwedin verheiratet ist, hat vielleicht etwas Nationalstolz vermittelt bekommen, wie auch immer. Zweifelsfrei kann gesagt werden, dass dieser Volvo die Familie vor ihrem sicheren Untergang bewahrt hat. Keine 24 Stunden nach Empfang des Volvos war der nämlich ein Haufen Schrott – ein LKW hatte ihn ungebremst von hinten (versetzt) gerammt. Nach Aussagen der Unfallauswerter hätten wir im K70 nicht den Hauch einer Chance gehabt – das Zauberwort hiess offenbar „Knautschzone“. Nicht zuletzt deshalb folgten auf den logischen Ersatz viele weitere Volvos, bis zum heutigen Tag.

Ihr neuer Arbeitsplatz!

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Also, nebst der genetischen Prädisposition als Halb-Wikinger ein weiterer Grund, sich mal so ein Vehikel anzuschaffen. Die moderne Ära habe ich irgendwie nie so richtig gemocht, am ehesten noch einen XC70 aber deren Preis und Motoren waren eigentlich nicht so sexy und so kamen dann BMW und Saabs (dazu gibt es später eine andere Story). Objekt der Begierde für mich war ein 144 oder 142 just von 1974 mit der dicken Lippe, obschon die früheren Modelle mit den feinen Leichtmetallfängern und -kühlergrills hübscher sind.

Die Versuchung kam dann in Form eines crèmeweissen 145ers von 1972. Mit dem Händler wurde ich bald einig und wir tauschten meinen Firebird gegen den Volvo. Der Zustand des Letzteren ist mechanisch und carrosserieseitig sehr gut, das Chassis wird an einigen Stellen noch etwas Rostbehebung verlangen. Aber, nach Meinung meines Haus-Mechanikers (der ist sein Geld echt wert -> Klassikerwerkstatt) nichts beunruhigendes. Der Wagen hat einen Vorbesitzer und 188tkm runter, ist also gut eingefahren. Der Fahrersitz ist gut eingesessen und eine der ersten Massnahmen war der Tausch der Sitzkissen links/rechts. Das geht ruck-zuck, da die Kissen identisch und mit Druckknöpfen befestigt sind. Was in der nächsten Zeit folgen wird, ist die Entstaubung des gesamten Innenraums. Das Heizungsregulierventil musste ich tauschen, es funktionierte nicht mehr und leckte Kühlflüssigkeit in den Fahrerfussraum (was ich leider erst nach dem Kauf entdeckte). Originalteil her und ausgetauscht. Das Alte werde ich später renovieren und wieder verkaufen.

Viiiel Platz, auch unter der Haube…

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Angetrieben wird das Charaktergefährt von einem B20A, will heissen dem einfachvergaserbeatmeten 2 Liter Vierzylinder. Der Stromberg 175 ist robust und zuverlässig, das Prinzip kenne ich von meinem Saab 900 mit einem dito von Pierburg. Solange genügend Dämpferöl drin ist und die Membrane ganz ist, kann eigentlich nicht viel passieren. Eigentlich, denn beim Saab war auf einmal die Nadel verbogen… Wie auch immer, beim Volvo klappt das hervorragend und nach kurzer (manueller) Choke-Phase folgt sofort ein ruhiger und runder Leerlauf. Im Stand klackern die Ventile wunderbar charakteristisch und zufrieden vor sich hin, keine Unruhe und man meint, er würde tagelang so tuckern können. Das Vierganggetriebe mit kurzem Schaltstock ist verblüffend präzise und auch ohne Zwischengas problemlos zu schalten – das macht aber im 2. und 1. Gang einfach Spass. Die Kraft des Graugussgesellen ist erstaunlich, keine 100 Pferdchen aber man kommt sehr flott voran. Beim ersten Werkstattbesuch offenbarte sich dem Mechaniker beim Öffnen der Luftfilterbox (nicht ganz einfach, deshalb wurde das vermutlich schon lange nicht mehr gemacht) ein schrecklicher Anblick. Der Luftfilter war eigentlich eher ein Ölfilter und komplett verdreckt und verstopft. Der arme Motor bekam kaum noch Luft. Ein neuer Filter für ein paar Mäuse rein und – hoppla, jetzt geht die Post richtig ab!

 

Frei atmen geht anders: Vom Luft- zum Ölfilter mutiert

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Auf meiner Probefahrt fand ich nur Landstrassen mit 80km/h Begrenzung, sonst wäre mir der einzige wirklich wesentliche Schwachpunkt dieses Autos aufgefallen. Der Motor ist wunderbar elastisch und man ist schon bei 40 im 4. Gang – und das war’s dann. Aber eben, ab 80 wird es laut weil die fünfte Stufe fehlt. Das wäre allerdings mit einem elektrisch zuschaltbaren Overdrive zu beheben, erfordert aber ein anderes Getriebe samt Kardanwelle. Besagter Mecchanico hat so ein Ding rumliegen – hatte er für seinen PV544 geschenkt bekommen. Mal sehen, wenn Kohle in der Kasse ist, kann man das mal ins Auge fassen. Ansonsten, Finger weg von allen Modifikationen, der Wagen ist matching numbers und 100% original. So auch der Bandtacho und die spärliche übrige Instrumentierung.

Wie bei Autos aus dieser Zeit üblich, ist die Rundumsicht hervorragend und man braucht keinerlei Kameras oder andere Peilsysteme um zu wissen, wo das Ding anfängt und aufhört. Die Bremsen greifen beherzt zu und der Fahrkomfort ist erstaunlich hoch und in Kurven rutscht man eher vom Sitz als dass man in einen kritischen Fahrzustand kommt. Das Lenkrad mit gefühlten 50 Zentimeter Durchmesser und kleinfingerdickem Bakelitkranz liegt gut in der Hand und bewegt den Wagen sehr präzise. Servolenkung ist Fehlanzeige, die vermisst man aber höchstens beim Rangieren im sehr tiefen Tempo. Dreipunktgurte vorne waren Serie, hinten ist nix mit Angurten. Die statischen Dinger sind mittlerweilen – Stilbruch! – modernen Rollgurten gewichen. Solche gibt es leider nicht original denn sie wurden erst ab 1974 angeboten. Ok, hätte man vielleicht anpassen können, dann hätte ich aber Halterungen für die Peitschen am Getriebetunnel anbringen müssen. Aber die Originale sind ja noch vorhanden.

Auf der Strasse dann das gewohnte „so einen hatte ich auch einmal“ und freundliche Blicke von den Passanten. Interessanterweise bekomme ich aber recht oft die Frage, was das eigentlich für ein Auto sei – der Kühlergrill hilft da nämlich nicht wirklich weiter. Die charakteristische Diagonale mit dem Symbol für Eisen (oder besser bekannt als dem Zeichen für das männliche Geschlecht) kam erst später. So muss dann halt freundlich Aufklärungsarbeit geleistet werden. Meine Frau stand dem „Ding“ von Anfang an ganz positiv gegenüber und findet, er passe zu mir. In den letzten Wochen hat sich der Volvo nun auch ihr Herz erschlossen. Ein Umzug stand an und die Versuchung ist natürlich gross, sich eine ebene Ladefläche von der gefühlten Grösse eines halben Tennisplatzes (tatsächlich ca.2.10m x 1.2m) zunutze zu machen. Die folgenden Bilder sind Zeugen, dass wir dieser Versuchung erlegen sind. Die Distanz zwischen Auf- und Abladeort war kurz, keine 10 Minuten Fahrt. Das meiste davon innerstädtisch. Beim Gewicht gingen wir eher auf Nummer sicher, das Volumen wurde aber ausgereizt.

Vom Begleitfahrzeug aus fotografiert (der Fahrer bestätigte, dass sich fast jeder nach dem Volvo umdrehte, das habe ulkig ausgesehen)

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Eine Leiter Modell „Handwerker“ mit 2.75m im Wagen – und die Heckklappe ging noch gut zu

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Die ersten paar tausend Kilometer sind über Erwarten gut gelaufen und mittlerweilen habe ich grosses Vertrauen in den Wagen. Ein neues Rückenpolster für den Fahrersitz ist bestellt, ebenso ein 10-teiliges Teppichset um den Innenraum etwas wohnlicher zu gestalten. Auf Seiten der Mechanik werde ich ein neues Kupplungskabel (nix Hydraulik) einziehen. Der Ausrücker ist nicht am Knarzen beim Kupplung treten verantwortlich, das haben wir in der Werkstatt ausprobiert. Ausserdem habe ich einen Dichtungssatz für den Vergaser besorgt. Das wird dann wohl Winterarbeit.

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So freut man sich denn des ziemlich exklusiven und angenehmen Gefühls, mit dem Kleinod unterwegs zu sein. Der Verbrauch, mehrheitlich in Stadt/Dorf, liegt ungefähr bei 10 Litern pro 100 Kilometern. Ohne entsprechenden Hinweis hatte ich übrigens eine Tankfüllung BF95 getankt, welche prompt mit Klopfen unter Last quittiert wurden. Den Bleiersatz hatte ich aber nicht vergessen. Nach dem Auffüllen mit 98 Oktan kehrte wieder Ruhe ein.

Ich wäre nicht ich selbst, wenn ich nicht schon den Blick auf die nächste Geländekammer richten würde: Eine weitere Pilgerreise nach Norden, in die Heimat des Ziegels. Dazu hätte ich aber schon gerne den Overdrive, das schont Mensch und Maschine. Und was heisst „eine weitere Pilgerfahrt“? Tja, dem blauen Firebird blieb diese verwehrt, das wäre mir bei dem Benzinverbrauch einfach zu teuer geworden und der Bezug fehlt ein wenig. In Schweden fahren nämlich deutlich mehr Amis rum als alte Volvos oder Saabs!

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Also, die erste Pilgerfahrt war diejenige mit dem roten 900er Saab Sedan, welcher 2011 im Zuge des Vulkanausbruchs auf Island in die Schweiz kam. Er konnte in der Schweiz nicht zugelassen werden, also kaufte ich ihn und brachte ihn zurück nach Schweden. Dort ist er jetzt treuer Diener beim Ferienhaus. Aber das ist eine andere Geschichte…

Pilgerfahrt Schweiz-Schweden 2011

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4 Gedanken zu “Der weisse Riese – Leben mit dem Volvo 145 Kombi

  1. Pingback: Der weiße Riese II | autosleben

  2. Wirklich schön zu lesender Artikel. 🙂 Und das hier lese ich natürlich sehr gerne: „Originalteil her und ausgetauscht.“ So wünschen wir uns doch die Ersatzteilversorgung. Kannst du noch ein Foto von der Fahrzeugfront nachreichen? Das hat mir leider gefehlt.

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    • der Heftychris und Du würdet Euch sicher gut verstehen, nicht umsonst seit ihr beide Gastautoren hier 🙂
      Er weilt zurzeit in der europäischen Halbunion, aber ich werde ihn um ein Frontbild bitten

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    • Hallo & danke für die Blumen! Die Ersatzteilsuche – namentlich für Karrosserie und Innenraum kann schon aufreibend sein. Die Amazonen und PVs haben es da leichter. Aber ich will ja nicht klagen 🙂
      Das Frontfoto – wie konnte ich das bloss vergessen! Wird über Marc nachgereicht.
      Viele Grüsse,
      Chris

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