Der weiße Riese – 44 und ein bisschen leise(r)

Kennen Sie Due Diligence? Hmm, ist es ein Westernheld, eine Getränkemarke oder ein Rennfahrer? Weder noch. Es ist, kurz gesagt, das gebotene Mass an Sorgfalt respektive Vorsicht. Dabei ist es unerheblich, ob man eine Firma übernimmt, ein Haus kauft, seine Zukünftige auswählt oder, na klar, ein Auto kauft. Wer es noch elaborierter mag, kann auf den lateinischen Kollegen namens Caveat Emptor ausweichen. Und damit endet der linguistische Exkurs.

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Der Weiße Riese – nicht im Schilf sondern Stoppelfeld. Hier noch mit 4-Gang-Getriebe

Ein Mangel an gebotener Sorgfalt ist wohl der am häufigsten begangene Fehler beim Autokauf. Ich kenne mich da aus und bin Wiederholungstäter. Sonst hätte ich, selbst auf der kurzen Probefahrt mit dem Volvo 145 festgestellt, dass der ab 80 Sachen so richtig laut wird. Kann ja nicht anders, mit nur vier Gängen. Aber eben, der Tunnelblick blendet halt so einiges aus. Aber gut, das war ja nicht der einzige Mangel, über den ich in meiner Verliebtheit hinwegsah. Oder Mangel und Mangel, eine Eigenschaft halt.

Ziemlich bald nach dem Kauf begann ich mich mit der Frage zu beschäftigen, wie man diesem Übel abhelfen könnte. Ist ja nicht nur quälend für den Menschen, auch die Maschine macht einen mit. Wie die Familie seinerzeit die langen Autobahnfahrten in den Norden im Volvo 144 mit ebendiesem Getriebetyp unbeschadet überstand, ist mir heute noch rätselhaft (oder lässt sich so die eine oder andere Macke erklären?).

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144 deluxe aus 1974 mit Riesenstossstange. Und vier Gängen. Und viel Lärm

Abhilfe kam erst im 244er GLE von 1979, nebst feinem Leder auf den Sitzen und einem Schiebedach. Noch kein Sechszylinder und keine Automatik, aber alle Achtung!

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Volvo 244 GLE – genauso sah unser Familienauto 1979 auch aus. Ein Quantensprung

 

Ein kleines Schiebeschalterchen auf dem Schaltknauf machte einen Riesenunterschied. Die weißen Ziffern gingen nur bis 4, man sprach aber immer von einem fünften (Vorwärts-)Gang. Hä? Technikaffin  wie ich war, verstand ich bald worum es ging. Und über nichts anderes in diesem grossen Auto wurde mehr diskutiert: Muss man nun kuppeln, wenn man den OD ein- und ausschaltet? Zugunterbrechung ist schon ein Vorteil, also hat Papa immer gekuppelt. Klar, man kann die Drehzahlen auch anders senken, mit der Achsübersetzung zum Beispiel. Aber da kommt man ganz schnell auf die schiefe Bahn, denn die muss ja auch zur Motorcharakteristik passen und so weiter. Also war mir klar: Ein Overdrive muss her!

Wenn möglich, ziehe ich einfache Lösungen vor und die hätte im vorliegenden Fall darin bestanden, dem originalen M40 Getriebe einen J-Type Overdrive von Laycock anzuhängen. Dann noch die Kardanwelle gekürzt und gut ist. Die Idee hatten einige vor mir und in der einschlägigen Literatur und Foren wurde davon abgeraten. Obschon vieles in den Autos dieser Zeit modular konzipiert war, hätte es hier grosse Hürden gegeben. So zum Beispiel, dass die Ölversorgung wegen unterschiedlicher Niveaus schwierig wäre. Also, Einfachheit ja, Gebastel nein. Nebst dem zu erwartenden Arbeitsaufwand scheute mich vor allem der mögliche Preis eines Getriebes. Aber wie so oft half der Zufall. Robin, „mein“ Mechaniker bei der Klassiker Werkstatt in Merishausen (Hinweis: Ja, das ist Werbung) erwähnte, er hätte noch ein, zwei solcher Getriebe. Das speicherte ich dann erst einmal im Hinterkopf und begann, für das Projekt zu sparen und Recherche zu betreiben.

Rechtzeitig zum 44. Geburtstag des weißen Riesen, begann die Realisierung dieses Projekts. Das passende Getriebe hatten wir gefunden, ein M41 aus den späten Sechzigern.

M41 Getriebe mit langem Schaltstock und zugehöriger kurzer Kardanwelle

M41 Getriebe mit langem Schaltstock und zugehöriger kurzer Kardanwelle. Hängt jetzt unter dem 145er und freut sich auf ein zweites Leben

Vermutlich war es einmal in einem Amazon zu Hause und war in optisch einwandfreiem Zustand. Alles drehte und nichts knarzte. Der Metallabrieb an der Ablassschraube war minimal und wir einigten uns auf einen für beide Seiten guten Preis. Eine passende Kardanwelle stand auch zur Verfügung. Das war wichtig, denn Originalfreak der ich bin, wollte ich jederzeit wieder umrüsten können (wozu auch immer). Besagte Modularität bedeutete auch, dass mein Getriebedeckel, mit dem kurzen Schaltstock, problemlos denjenigen mit dem langen Hebel des M41 ersetzen würde. Eine längere Tachosaite und ein paar Kleinteile waren auch noch nötig. Eine grössere Herausforderung schienen die unterschiedlichen Dimensionen der Kardanwellen zu sein. Das Anschlussproblem bei der Hinterachse ließ sich aber durch einen Ersatzflansch beheben. Kostete zwar einiges, dafür mussten wir die Kardanwellen nicht antasten. Mit fast 200’000 Kilometern auf der Uhr war auch die Kupplung ein Austauschkandidat und der Brutaltest offenbarte Schwächen. Deshalb würden wir auch gleich eine neue montieren. Es gab da noch einige Fragen, wie der Zahnung der Eingangswelle und so weiter, aber das löste sich nach und nach.

Der Werkstatttermin stand fest: 17. Februar 2016. Die kurze Überführungsfahrt ein paar Tage davor fand bei trockenem Wetter statt und der Wagen startete nach fünf Monaten Standzeit beim ersten Versuch. Der Ausbau des alten Getriebes war problemlos und ausser einer fehlenden Distanzscheibe beim Hinterachsflansch, welche von der Werkstatt ersatzweise angefertigt wurde, und einem Filzring, traten keine Überraschungen auf. Der Getriebeträger musste in seiner Form leicht angepasst werden, eine geplante Arbeit und somit kein Problem.

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Der anzupassende Querträger vor dem Umbau. Der hintere Querträger ist ein Rätsel und möglicherweise hatte jemand in Torslanda einen guten Tag und spendierte dem Volvo einen Träger für das Automatikgetriebe. Doppelt genäht hält besser.

Der Magnetschalter am Overdrive liess sich etwas bitten, funktionierte nach gründlicher Reinigung aber einwandfrei. Die originale Tachowelle war bereits in der passenden Länge, weshalb meine NOS-Saite nun weitere Jahre in ihrer Originalverpackung liegen darf. À propos Modularität: Im Armaturenträger war, direkt neben der Choke-Kontrollanzeige auch schon ein hinterleuchtetes Plättchen mit „O DRIVE“ installiert. So musste nur noch ein Lämpchen dorthin gezogen und verkabelt werden. Warnlämpchen in Ehren, aber man könnte in der Hitze des Gefechts ja einmal vergessen, den Hebel wieder nach oben zu führen um den OD auszuschalten. Und dann versuchen, den Rückwärtsgang einzulegen. Wäre nicht gut. Das verhindert allerdings ein kluger Schalter, welcher den „R“ nicht freigibt, solange der OD noch eingeschaltet ist.

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Lämpchen brennt! Gab es also schon damals, dass Optionen vorbereitet und sozusagen nicht „freigeschaltet“ waren. Das „O DRIVE“-Feld hatte 44 Jahre auf seinen Auftritt gewartet!

Ich hatte mich einige Zeit mit der Frage nach der Betätigung des Overdrive beschäftigt. Manche montieren einen Kipp- oder Drückschalter ans Armaturenbrett, was ich aber nicht wollte. Nach einiger Suche fand ich einen verchromten Hebel für den Lenkstock aus einem P1800. Es gäbe zwar noch passendere Modelle für die 140er Serie, aber der hier passte gut (und ich Depp war überzeugt, der Blinkerhebel wäre auch verchromt).

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Hier der eingebaute OD-Betätigungshebel. Oben = aus, runter = ein. Kuppeln nicht vergessen!

Meine Freude war sehr gross, als ich nach nur zwei Tagen Bescheid bekam, der Wagen sei fertig. Der Getriebeträger musste noch etwas angepasst werden, das war aber alles und der Kostenrahmen wurde eingehalten. Was jetzt noch ansteht ist die Beobachtung eventuellen Ölaustritts. Denn um die Befüllung des Getriebes tobt ein kleiner Expertenstreit. Die einen schwören auf simples SAE10w40 Motorenöl, andere auf ATF und so weiter. Also abwarten und Öl tropfen. Die (kurze) Heimfahrt mit dem aufgerüsteten weißen Riesen verlief problemlos und der OD konnte bereits glänzen. Man soll bekanntlich den Tag nicht vor dem Abend loben und ein derartiger Eingriff nach über 40 Jahren kann so einiges nach sich ziehen. Aber auf jeden Fall habe ich jetzt einen weiteren Grund, mich auf den Frühling zu freuen. Mit diesem Gehörschoner ist natürlich auch die Langstreckentauglichkeit des Autos gewachsen und wer weiss, vielleicht zeige ich dem Kombi einmal seine alte Heimat…

Was jetzt übrigens noch an Arbeiten ansteht, ist die Trockeneisbestrahlung des Unterbodens um die dicke Schicht Pampe runterzukriegen und ein paar Roststellen zu beheben. Die hinteren Stossdämpfer sind auch bald dran. Im Innenraum gibt es noch einiges zu reinigen und die Sitze will ich neu aufpolstern, gegebenenfalls neu beziehen lassen. Denn das ist die Krux mit den 140ern: Obschon sie in grosser Zahl gebaut wurden ist die Ersatzteilversorgung, namentlich für den Innenraum, mager. Für PV, P1800 und Amazon wird jedes Teil neu hergestellt. Aber eben, Exklusivität hat ihren Preis.

 

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