Manchmal reicht auch die kleine Portion

So oder so ähnlich müssen es sich wohl die Käufer eines Mercedes-Benz 400E und seines Nachfolgers, dem E420 gedacht haben. Da gab es doch noch den großen Bruder, den 500E? Was also mag die Motivation gewesen zu sein auf knapp 40 PS, eine Vorderachse aus dem gerade erst vorgestellten SL und Bremsscheiben im XL-Pizzaformat zu verzichten?

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Nun, auch wenn es für einen Mercedes Neuwagenkäufer Anfang der 1990er Jahre nicht wirklich zu den großen Problemen des Lebens gehörte über Geld nachzudenken, so dürften die 49.277 D-Mark und 50 Pfennig ein gewichtiges Argument gewesen sein über den kleinen V8 nachzudenken. Exakt dieser Betrag trennte die beiden Achttzylinder im W124 von einander.

Bereits 1991 tauchte der 500E zu ersten Mal in den Preislisten auf und löste für die damalige Zeit schon etwas so, wie ein Erdbeben aus. Was war nur in die werten Herren Direktoren in Untertürkheim gefahren? Erst pflanzten sie der Baureihe 201 einen Vierventilmotor ein und ließen ihr Flügel wachsen. Und jetzt wird die einst so brave Mittelklasse mit einem V8 mit 5l Hubraum angeboten. So etwas war doch nun wirklich der S-Klasse und dem SL vorbehalten!

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Ein E420, wie er seit der Modellpflege 1993 vom Band lief. Nur der Kühlergrill entspricht nicht dem Auslieferungszustand.

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Mit der Farbe blauschwarz metallic 199 ist ein Mercedes immer passend gekleidet.

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Mit der Modellpflege kamen die zweifarbigen Rückleuchten und die dezenten Chromzierstreifen.

Recht schnell muss dem Vertrieb aber gedämmert sein, dass der grandiose M119 auch in der Lage ist die leisen Töne zu spielen. Zwar hatte der M119 mittels Turboaufladung die Sportwagen Gruppe C dominiert. Aber auch in der zivilen Straßenausführung blieben ihm die vier Ventile pro Brennraum und die variablen Einlassnockenwellen erhalten, was ihn zu einem zeitgemäßen Motor machte.

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Von außen sind nahezu keine Unterschiede zwischen den Varianten mit 4,2 und 5l Hubraum auszumachen.

In den USA gewann eine neue Marke Namens Lexus mehr und mehr Zulauf für Ihre Idee ihrer komfortablen Reiselimousine LS400. Jetzt mag der aufmerksame Leser einwenden, dass der LS400 doch viel eher auf das Segment der S-Klasse zielte. Vollkommen richtig! Aber in den USA schauten und schauen auch heute noch die Kunden gerne mal auf den Preis und fragen sich was sie für ihre hart erarbeiteten Dollars denn bekommen. Und so kam dem 124er plötzlich die Rolle des Herausforderers zu. Doch das Motorenportfolio zeigte eine entscheidende Lücke zwischen 3 und 5l Hubraum.

Was las also näher als dem 5l Motor eine neue Kurbelwelle mit verkürztem Hub zu verpassen? Da man in Stuttgart zwar nicht, wie der Wettbewerb aus München das M für Motoren im Namen trägt aber durchaus auch Ahnung von Verbrennungskraftmaschinen hat, wurde auch die Bohrung verkleinert um das passende Verhältnis von Bohrung zu Hub beizubehalten. Ein für heutige Verhältnisse unvertretbarer Aufwand. Doch das Ergebnis war es wert.

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Jeder Mechaniker freut sich über die Werkstattstellung der Motorhaube.

Im Gegensatz zu seinem großen Bruder wurde dem 4,2l – der aus Gründen der Nomenklatur abweichend vom tatsächlichen Hubraum zu Beginn als 400er vermarktet wurde – die Rolle des souveränen Langstreckenmotors zu teil. Das soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass trotzdem ein beträchtlicher Teil der Kunden zum 500er griff und nicht selten die Marken von einer halben Millionen Kilometer knackten.

Die Rollenverteilung war klar. Der 500er sollte den BMW M5 auf der linken Spur in Schach halten und bekam dazu eine ziemlich kurze Übersetzung verpasst, die später im Hause Mercedes-Benz nur noch vom C36 getoppt wurde. Für den 400er griff man am anderen Ende ins Regal und gab ihm eine 2,65er Achse mit auf den Weg. Ohne die Abregelung bei 250km/h hätte der 400er damit den 500er ausgestochen. Deswegen ist der kleine V8 aber trotzdem keine lahme Kiste, die nur das Kapitel Antriebskomfort beherrscht. 4,2l Hubraum sind eben immer noch ein gutes Argument gegen Lethargie.

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Nicht einmal die Abgasanlage verrät den Achtzylinder.

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Im Laufe der Produktionszeit bekam der 400er größere Bremsen und eine 16 Zoll Bereifung verpasst.

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Als Langstreckenauto ist der 124er immer noch eine sehr gute Wahl.

Woher kam nun der gewaltige Preisunterschied zum 500er? Da war zum einem mal die Endmontage des 500ers in Zuffenhausen bei Porsche. Welche Geschichte nun stimmt, warum die Montage nicht in Sindelfingen erfolgte, ist müßig. War es eine Aktion der Nächstenliebe unter schwäbischen Autobauern? Porsche ging es damals ziemlich dreckig und war bestimmt froh um den Auftrag vom Daimler. Oder war der 500er mit seinen ausgestellten Kotflügeln zu breit für die Montagebänder in Sindelfingen? Geschenkt! Billiger wurde er jedenfalls durch den Transport der Rohkarossen von Sindelfingen nach Zuffenhausen und zurück bestimmt nicht. Mit der Vorderachse aus dem SL der Baureihe 129 lag so ein 500er bestimmt besser auf der Straße als sein kleiner Bruder. Durch das tiefergelegte Fahrwerk war aber eine Niveauregulierung an der Hinterachse erforderlich um die standesgemäße Zuladung zum Beispiel beim Einkauf auf dem Weingut auch ohne hängenden Hintern zu ermöglichen. Weitere Nettigkeiten, wie eine Teillederausstattung oder das ASR waren beim 500er im Serienumfang enthalten.

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Der Erstbesitzer verzichtete auf eine Lederausstattung und wählte stattdessen Stoff Karo schwarz. Dafür gab es Wurzelholz in der Mittelkonsole und eine Klimaautomatik.

Wer wollte, konnte seinen 400er reichlich unscheinbar bestellen. Kein Schiebedach, keine Lederausstattung, nur das automatische Getriebe und die Leichtmetallfelgen waren immer mit dabei. Anfangs waren diese sogar noch in der 15 Zoll Größe gehalten und somit nicht von einem 200er Diesel zu unterscheiden. Diese unauffällige Art fast 300 PS zu verpacken, das war und ist die große Stärke des kleinen V8 im 124er.

 

3 Gedanken zu “Manchmal reicht auch die kleine Portion

  1. Extrem schade ist ja, das man den 4.2 M119 V8 nicht auch im S124 oder im C/A124 angeboten hat, weil ein S124 als 400TE oder ein C/A124 als 400CE, währen wohl mit die geilsten 124er überhaupt gewesen! 🙂

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