Volvo oder woll’mer’n nicht? Den 440er.

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Das Erste. Nein, kein öffentlich-rechtliches, sondern: sein erstes Auto. Wer erinnert sich  nicht daran? Wieviele haben dabei ein selteneres, eher edles Teil gewählt?  Gefühlt war ich in der Minderheit unter den vielen Gleichaltrigen mit ausgelebten Asconen, durchgesessenen Fiat oder Wachs-aus-der-Hecktür-tropfenden Golf Zwo. Ja. Für mich sollte es ein Volvo sein. Klein, aber fein. Am liebsten den Turbo.

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Aufgefallen ist mir der kleine Kantige während Schweden-Ferien: wegen seinen schönen Karosseriefalzen. Lange Motorhaube und unzerstörbares Image inklusive. Ja, die Linie: wenn mir heute einer begegnet, gibt er mir ein zwiespältiges Bild ab. Irgendwie passen ohne Heckspoiler die Proportionen nicht. Dach und Motorhaube zu lang, Heck zu kurz. Das wirkt sich auch auf den Platz aus. Knieraum hinten und Platz für die Sieben Sachen ganz hinten ist knapp. Dinge, die den damaligen Fahrschüler nicht kratzten. Zumal sein Pate damals schon jahrelang Volvo fuhr.

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Stilelemente der 80er: viel Glas, Kunststoffplanken, schräg gestellte Front.

Der 1988 geborene 440er war Volvos erste Limo mit Frontantrieb und löste die lange, lange gebaute Noch-DAF-Entwicklung 340/360 ab. Mit seiner Keilform, der flächigen, chromfreien Karosserie mit hohem Heck und den Kastenleuchten ist er ein typisches Achtziger-Design. Auf seiner Plattform bauten ebenfalls der originelle „Shooting Brake“ 480 und die um ein wenig Kofferraum verlängerte 460er-Limousine auf. Mit dem „kleinen“ 440er wollte Volvo sein Einsteigerpublikum auch unter Audi- und BMW-Fahrer finden. Ganz ehrlich nun: das Preis-/Leistungsverhältnis war dafür aber zu dürftig und die Qualität teilweise mau, deutlich unter Volvos Normal-Niveau. Punkt. Jetzt ist es draussen, danach dürfen wir über die guten Seiten sprechen. Moment noch: wir sprechen hier von der ersten Serie. Das tief greifende Facelift von 1993 war qualitativ sehr notwendig, sorgte für einen wertigeren Innenraum und stabilisierte dank tieferen Preisen die Verkäufe. Zugleich wandelte sich der Stil leicht weg von der schlanken 900er-Linie hin zum klobigeren 850er der 1990er.

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Coolste 400er-Variante: 480

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Etwas Dynamik beim GLT und Turbo….
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…oder sehr konservativ in mausgrau: der 440 2. Serie.

Aber zurück zu meinem, dem 440 Turbo in unheiklem hellblau.  Gebaut Anfang 1989 in Born NL, war er einer der Frühen. Bei mir im Betrieb zwischen 10.93 und 6.98, befuhr er halb Europa: Italiens Riviera, Cotê d’Azur, Loire- und Moseltal, Luxembourg, Elsass, Provence, Burgund, Franken, Graubünden, Tessin und die Westschweiz. Man kann ihm tatsächlich gewisse Langstreckenqualitäten attestieren. Auch über den berühmten „Col du Turini“ habe ich ihn damals gehetzt und fiel in einer Mont-Ventoux-Kehre in ein tiiefes Turboloch… 1993 gehörte er mit (gefühlt deutlich kräftigeren) 120 PS zu den Sportlimos: TDIs steckten noch in der Anfangsphase, die Autobahn war noch voll von Leistungsschwächeren. In der ganzen Zeit ist er übrigens kein einziges Mal liegen geblieben.

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Was gefiel mir? Das Volvo-Typische. Anzeigen für Gurten und defekte Glühbirnen. Der grün glimmende Bordcomputer neben den schön gezeichneten Anzeigen. Der anzugsstarke 1,7-Liter-Turbomotor mit seinem unten herum typisch melodiösen Klang (ein klein wenig Porsche: im Auftrag Volvos luden die Stuttgarter den braven Renaultblock auf). Die bequemen Sitze mit dem nobel-robusten Bezug. Das Stummelheck mit dem hübschen, wagenfarbenen Spoiler aus Metall. Seine Handlichkeit und das Fahrer-orientierte Cockpit. Die leichtfüssige Agilität dank wenig Gewicht, insbesondere bei Passfahrten. Sein guter Komfort unter Beladung und der dank Schrägheck variabel nutzbare Innenraum. Der Verbrauch, zwischen 7 und 8 Liter. Die bei damaligen deutschen Testmagazinen erreichten 13 – 15 Bleifuss-Liter hat der Schweizer Alltag nicht bestätigt.

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Klobiges, aber gut bedienbares Cockpit mit Verarbeitungsmängeln.

Was gefiel mir nicht? Seine stetigen Macken: Ladedruckanzeiger defekt, später Tacho ohne Funktion. Rücklicht schliesst kurz, schnell verschleissende Gasdruckheber der Heckklappe, lausig verlegte Teppiche, wackliges Armaturenbrett, immer wieder rupfender Motor, das am Schluss poltrige Fahrwerk mit dem nervigen Untersteuern auf nasser Strasse. Die mässige Heizung und schwache Lüftung. Da nützte der chice Colourstreifen am oberen Frontscheibenende auch nicht mehr viel.

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Am Fusse des Nufenenpasses. Die Farbe steht ihm.

Fazit: der 440er war ein sehr zwiespältiges Auto, welches erst in der Faceliftversion richtig brauchbar wurde. Anspruch und Wirklichkeit klaffen gerade bei diesem Volvo weit auseinander. Zu extrem betriebener Leichtbau, Verarbeitungs- und Elektrikmängel paarten sich mit falschem Marketing (Mittelklassenpreis und Golfklassengrösse) und zu individuellem Design.  Er besitzt weder die Schwedenstahlqualität noch vermittelt er das Gefühl einer sicheren Burg wie die grossen Volvo-Brüder. Dazu kommen Rostprobleme im Alter. Sein Erfolg am Markt hielt sich dadurch in Grenzen: sein stärkster Jahrgang war ’88/89 mit gut 56’000 produzierten Autos. Grösste Märkte waren Grossbritannien und die Niederlande (=Produktionsland). Spannend: sogar die Aussies fuhren 440er.
Am Schluss blieb es bei gut 700’000 gebauten 400er, deutlich weniger als vom Vorgänger.

Heute ist er selten geworden wie viele Verbrauchsautos der 80er-/90er-Jahre. Die Schweizer Portale listen gerade mal vier Treffer, alle im dreistelligen Franken- /€-Bereich. Kein Turbo, auch nicht unter Deutschlands 14, davon zwei gepflegte Opa-Autos mit wenigen Kilometern. Dies alles sagt einiges über sein Image aus.

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Trotz allem aber: er war das Erste. Auto. Ein Stück zuhause unterwegs. Dafür habe ich ihn gemocht.

3 Gedanken zu “Volvo oder woll’mer’n nicht? Den 440er.

  1. Eine schöne Würdigung! Mit den 360/440 hat meine Familie auch ihre Erfahrungen gemacht. Seit 1974 waren die „Erstwagen“ Volvos. Irgendwann in den 80ern wurde der 78er Polo (eigentlich mein erstes Auto, obschon ich damals erst 10 war – ich habe den Wagen geliebt und gepflegt und hätte ihn meinen Eltern am Ende fast abgekauft, obschon ich noch nicht einmal 18 war…) durch einen 360er abgelöst, Sondermodell „Crystal“ mit Aussentemperaturanzeige – wow! Der hatte einen Kat – war damals ja wichtig – und den kräftigen 2-Liter-Motor. Ihm folgten zwei 440er, mit den von dir gut beschriebenen Eigenschaften. Was mich – vor allem an der 1.7l Saugvariante – mächtig nervte, war der sägende Leerlauf. Was 3er und 4er (und im übrigen die folgenden V40) gemein hatten, war das schwammige Fahrwerk. Ich erinnere mich, wie ich im 360er auf einem relativ steilen Stück der A7 zwischen Kassel und Fulda mit 160 den Hügel runter kam und die plötzlich sehr enge rechtskurve in die Gegensteigung nur mit Mühe kriegte – Wankbewegungen inklusive. Aber ja, so übel waren sie nicht, die kleinen Volvos (ich vermisse sie aber auch nicht :-)).

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    • Danke schön. Freut mich, dass auch du damit Erfahrungen gemacht hast. 360: Eigentlich hätte der mit seinem Transaxle-Fahrwerk schon noch Potential haben können. Das beweisen auch die vielen Autocrosser, die den 300er in diesem Sport erfolgreich eingesetzt haben. Volvo fehlte wahrscheinlich das Know-how für eine bessere Abstimmung.

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