Das Fliewatüüt

Ironischerweise kann es weder fliegen noch schwimmen und eine Hupe hat es auch nicht, mein «All Terrain Vehicle» Polaris 570SP. Oder «fyrhjuling», Vierrad, wie es die Schweden nennen. Aber es ist so vielseitig begabt, dass ich die Anleihe bei Robbi und Tobbi und ihrem «Fliewatüüt» als gerechtfertigt betrachte. Hierzulande sind «Quads» eher selten, man sieht das eine oder andere mit Strassenzulassung. Das ist dann eine Art Enduro-Motorrad mit vier Rädern. Ok, hat sicher seinen Reiz. In seiner ursprünglichen Heimat USA ist das Quad häufig auf Farmen, Minen oder speziell angelegten Terrainparcours oder ATV-trails anzutreffen. Dabei kann es seine Trümpfe schon eher ausspielen: Durchqueren von Bachbetten, Kiesgruben erklettern, holperige Waldwege meistern und so weiter. Dazu fehlt bei uns halt der Platz – und vermutlich das Marketingkonzept, welches in uns den Wunsch zu solchem Tun wecken würde.

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Überführungsfahrt des Polaris mit „Torsten“

In seiner zweiten Heimat, Skandinavien, kann sich das Quad frei entfalten! Für zehntausende Kleinwaldbesitzer ist es der Forsttraktor oder Forwarder im Kleinformat und bei unzähligen Sommerhäuschen stehen sie im Einsatz. Relativ günstig in der Anschaffung und klein im Unterhalt ist der Klettermaxe der ideale Gefährte. Man darf in Schweden, wo sonst jedes Komma geregelt ist, zwischen einer Strassen- und Geländezulassung wählen. Erstere verschafft dem ATV Richtungsanzeiger, Bremslichter und einen Kennzeichenhalter und dessen Fahrer eine Helmtragepflicht. Die Geländezulassung verbietet den Betrieb auf öffentlichen Strassen und lässt das Vehikel, wie ihn der Hersteller in der Basisausführung erschaffen hat und wer das Ding fährt, trägt eher aus praktischen Gründen eine Kopfbedeckung.

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Forsthelm mit Gehörschutz für warme Ohren

Ich nehme für gewöhnlich meinen Forsthelm. Die eingebauten Ohrschützer dämmen effizient den kernigen Sound und geben warme Ohren. Zum Schutz bei einer ungewollten Volte taugt der Helm natürlich nicht. Und damit wären wir bei des Quads Achillesferse: Der Kombination aus Kraft, kurzem Radstand, schmaler Spur und, vor allem, dem hohen Schwerpunkt. Der vorsichtige Pilot kommt damit gut zurecht, jedes Jahr sind aber viele Tote und Verletzte zu beklagen, weil sich die Dinger eben auch mal überschlagen. Allerdings nie wegen zu langsamer Fahrt. Seit Jahren sind die Quads deshalb den «Zero-Visionären» ein Dorn im Auge und es wird mindestens ein Führerschein angestrebt und alle Quads sollen Überrollbügel erhalten. Dieser hätte den zusätzlichen Vorteil, es vor herabfallenden Ästen zu schützen. Wobei Leute, welche die Gefahrenzone für Mensch und Material nicht richtig einschätzen können, beim Holzen sowieso nichts verloren haben.

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Schmale Spur, kurzer Radstand, hoher Schwerpunkt – giftiger Cocktail für Unvorsichtige

Viele Hersteller bieten nebst dem hier beschriebenen Design, welches einem Motorrad mit vier Rädern ähnelt, noch andere Konzepte. Das sind dann eine Art supergeländegängige Kleinstwagen, mit bis zu drei Sitzplätzen in einer rudimentären Kabine und einer kleinen Ladefläche. Oder ein geschrumpfter Beach-Buggy mit Einzelsitz und Überrollkäfig. So eines hatte ich in Betracht gezogen, die Idee dann aber aus praktischen Überlegungen verworfen. Ich rechnete mir aus – und die Praxis bestätigte dies – dass man häufig auf- und absteigen muss und dann ist eine Bank, über die man einfach das Bein schwingt, am besten. Dies tritt vor allem beim Einsatz des ATV bei der Schneeräumung auf. Um den Winkel des Pflugschildes zu verstellen, muss ich absteigen und das Blatt manuell bewegen. Es gäbe auch eine hydraulische Verstellmöglichkeit, die kostet aber viel und die Verstellerei ist langsam.

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So macht Schneeschippen Spass!

Eine der hauptsächlichen Stärke der Quads ist deren Geländetauglichkeit. Dazu tragen mehrere Elemente bei. Kräftige, drehmomentstarke Ein- oder Zweizylindermotoren (hier 570ccm mit 44PS), Einzelradaufhängung mit geteilter Hinterachse, Allradantrieb mit Geländeuntersetzung und grosse Bodenfreiheit. Die jüngeren Jahrgänge sind häufig mit Servolenkung ausgestattet, was das Rangieren im Gelände erleichtert. Mit etwas Übung und Geschick lassen sich dergestalt bemerkenswerte Hindernisse über- oder umfahren. Meine Frau hat schon oft dabeigestanden und gesagt, «das schaffst du nie». Dazu kommt, für Momente des Festfahrens, eine oder mehrere Seilwinden. Beheizte Lenkergriffe verhindern bei Kälte klamme Finger. Maximale Traktion erhält das Mobil, wenn man auf allen Vieren Forstketten mit groben Stollen montiert.

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Maximale Traktion dank Forstketten

Das Gerassel bedeutet tiefere Geschwindigkeiten auf der Strasse, aber man ist buchstäblich durch nichts aufzuhalten. Man sollte seinem Gefährt auch einen Unterfahrschutz gönnen, damit Geröll und Baumstümpfe das zum Teil schlecht geschützte Innere nicht verletzen.

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Unterfahrschutz: Ein Muss!

Gewöhnungsbedürftig ist die Art des Gasgebens. Statt wie beim Motorrad durch Drehen des rechten Lenkergriffs, betätigt man mit dem rechten Daumen einen kleinen Hebel. Mit Gedanken an die mitunter starke Neigung des Quads im Gelände macht das durchaus Sinn. Die Gänge werden über einen kürzeren oder längeren Hebel gewechselt. Normalerweise gibt es zwei Vorwärts- und einen Rückwärtsgang. Die Kraftübertragung erfolgt über einen Transmissionsriemen an ein stufenloses Automatikgetriebe. Bei unsachgemässem Einsatz verschleisst dieser rasch (deshalb eben die zwei Vorwärtsstufen). Bei Polaris schaltet sich der Allradantrieb bei Bedarf automatisch zu, man kann ihn aber auch permanent ein- oder ausschalten.

À propos Traktion: Der kurze Weg von der Waldstrasse hoch zu unserem Haus ist extrem steil, gefühlt 50% (also fast 30 Grad). Im Sommer ist diese Steigung auch mit normalem Front- bzw. Heckantrieb problemlos überwindbar, auch wenn Der doppelte Torsten mit den Vorderrädern scharrt. Im Winter wurde er aber schon allradgetriebenen Autos zum Verhängnis, so zuletzt unserem 530xd Touring.

 

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Stichstrasse mit 30° Neigung wird für alles und jeden zur Herausforderung

Um die Kirche im Dorf zu lassen sei angefügt, dass der Weg jeweils nicht frisch gepflügt war und ca.15 cm Neuschnee auf der vorher im Gefrier-/Schmelzzyklus eisig gewordenen Fahrban lag. Wie auch immer, mit schöner Regelmässigkeit bleibt man 10m unterhalb der Kuppe hängen. Und da schlägt des Polaris‘ Stunde und mit Hilfe der Winde oder eines Abschleppseils werden die unglücklichen Fahrzeuge den Hügel raufgezogen. Manchmal ist der Autor aber auch mit dem Quad etwas überambitioniert und das Gespann mit 5m-Fichte blieb ebenfalls hängen. Eigentlich kein Wunder, ohne Ketten auf eisigem Grund. Da hätte eine optimierte Gewichtsverteilung – wie noch anzumerken sein wird – nichts genutzt. Aber Winde und Köpfchen sei Dank, wurde auch diese Aufgabe gemeistert.

 

Eine Vielzahl von Herstellern, zum Teil mit sehr langer Tradition, tummelt sich auf dem Markt für Quads. Die Modelle der etablierten Marken sind allesamt konkurrenzkräftig und unterscheiden sich nach meiner Einschätzung nur in Details. Natürlich lassen sich die Fahrzeuge in allen erdenklichen Dimensionen «pimpen», wobei es dann entweder in die Stilrichtung «Cityslicker» oder «Redneck» geht. Ich gehöre zu letzterer Kategorie (wobei die Lackierung im wunderschönen «Sunset red» dazu im Widerspruch steht und «Sage green» passender gewesen wäre) und mein Zubehör sind nebst erwähnten Ketten eine Halterung für die Motorsäge bzw. für den Forstfreischneider.

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Voll ausgestattet für den Freizeitholzer!

Die kleine Ladefläche hinten ist ideal für Benzin- und Ölkanister und anderes Forstmaterial. Vor dem Lenker befindet sich eine geschlossene Box, wo Regenschutz, Werkzeug und Trinkflasche gut Platz finden. Die Krönung ist in meinem Fall der Rückeanhänger mit elektrischem Kran. Damit lassen sich Stämme bis 4m Länge und einem Gesamtgewicht von fast einer Tonne problemlos transportieren. Das Fahrgestell ist eine Doppel-Pendelachse mit vier grobstolligen Rädern.

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Rückewagen mit beträchtlicher Kapazität und Kletterfähigkeit

 

So bleibt man auch im Gelände nicht so rasch hängen. Beim Beladen des Hängers mit schweren Stämmen muss man allerdings auf den Schwerpunkt achten. Sonst wird das Heck des Quads entweder zu Boden gedrückt oder es schwebt in der Luft. Der «Boggie» lässt sich aber einfach verschieben und so viel Zeit muss sein. Das Bergabfahren, zumal auf unbefestigten oder vereisten Strassen, ist nicht ohne. Das Quad hat Scheibenbremsen rundum und eine sehr gut funktionierende Motorbremse. Diese ist zwar sehr hilfreich, führt aber bei abruptem Loslassen des Gashebels dazu, dass einen der ungebremste Anhänger auch einmal überholt. LKW- oder Gespannfahrern ist dies als «jackknifing» bekannt.

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Polaris und Orsavagnen in idyllischer Umgebung

Nebst dem harten Einsatz bei Schnee und im Wald lässt sich ein Quad für sehr viele Zwecke einsetzen. Den Rückeanhänger kann man beispielsweise zum Bootstransport missbrauchen und die Kugelkopfkupplung akzeptiert auch jeden gängigen Hänger, womit sich dann wieder alles Mögliche transportieren lässt.

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Alle Lösungen sind gut – ausser die schlechten

Auch Jäger schätzen die kräftigen Helfer und so manch erlegter Elch wurde schon per ATV aus dem unzugänglichen Gelände gezogen. Auch hierfür gibt es selbstverständlich passendes Zubehör.

PS: Wie bei autosleben.com üblich habe ich diesen Beitrag aus freien Stücken und ohne irgendeinen materiellen Anreiz verfasst. „Just happy with the product“, wie der Angelsachse sagen würde

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