Eigentlich hatte ich ihn den „Vulkanier“ getauft, meinen roten Saab 900 von 1987. Über eine Reihe von Zufällen kam der Wagen Ende 2010 in meinen Besitz [Der Vulkanier]. Vor einem Jahr sah ich mich veranlasst, eine Namensänderung in Torsten II vorzunehmen und Erich Kästner möge mir verzeihen, dass ich seinen Buchtitel in abgeänderter Form verwende – er trifft den Kern dieser Geschichte einfach zu gut.

Auch Gnadenbrot will verdient sein. Die Billig-Dachträger ächzten, der Saab nahms gelassen
Dieses Stück schwedischer Ingenieurskunst wurde in Finnland in der durchaus nicht begehrten „Buchhalter“-Ausstattung und erst noch in der Sedan-Karrosserieform gebaut und nach Schweden geschifft. Saab hatte sich vermutlich gefragt, was man mit den Lagerbeständen an steilen Fronten und Pierburg-Vergasern anstellen könnte. So entstand dann etwas, was aussah wie ein Saab 90 (grob gesagt Vorne & Innen ein Saab 99, hinten ein 900 I). Die ersten ca.185’000 Kilometer versah dieses Exemplar seinen Dienst in der Nähe von Stockholm. In seinem neuen Zuhause sind die Einsätze eher sporadisch aber mitunter durchaus anspruchsvoll, wie zum Beispiel beim unsachgemässen Transport von Baumaterial.
In Missachtung der Chronologie fange ich mit einem besonders schönen Geburtstagsgeschenk für Torsten II an. In Schweden wird ein Wagen bei seinem dreissigsten Altersjahr automatisch zum „Hobbyfahrzeug“. Als echte Veteranen bezeichnet man nur Autos älter als fünfzig Jahre. Also das Hobby-Prädikat muss man sich schon verdienen, nämlich die jährliche Untersuchung bei der bilprovning bestehen. Danach wird das Intervall auf zwei Jahre erhöht und der Staat erlässt einem die Verkehrssteuern. Also, der Termin bei einer der kleinsten Prüfstationen in Schweden (Vansbro, Provinz Dalarna) stand. Die obligate Wäsche vor der Abnahme förderte ein strahlendes Gefährt zu Tage und es machte sich Neuwagenfeeling in der Waschhalle breit. So sieht man auch nicht, dass der rote Lack recht fleckig ist aber damit habe ich mich abgefunden. Das mit dem Lack ist etwas, womit ich auch bei meinen vier neuzeitlichen Saabs nie wirklich zufrieden war (vor allem bei den schwarzen non-metallics).

Erstaunlicherweise ist alles dicht – nach dem Auswechseln der Dichtungen an Kofferraumdeckel und Rückleuchten
Praktischerweise konnte ich gleich auch meinen Anhänger prüfen lassen. An sich ist diese Prüferei jedes Jahr ja lästige Pflicht, andererseits bekommt man von den engagierten Prüfern allerhand Tips und Hinweise. Just „meine“ Station erhielt 2016 das interne Prädikat „beste Prüfstation“ in ganz Schweden. Die Selektionskriterien waren nicht publiziert, das ist aber auch egal. Denn die drei Herren machen ihre Sache in der Tat hervorragend und ich war heuer das dritte Jahr in Folge dort. Man erinnerte sich selbstverständlich an das ungewöhnliche Gespann aus rotem Saab und „ausländischem“ Fahrer (der sogar den lokalen Dialekt versteht). Aber zurück zum Geburtstagsgeschenk. Torsten wurde freundlichst empfangen und die Prüfer machten sich sofort über ihn her. Es schien, als wolle jeder mitmachen und so wurden verschiedene Punkte gleich doppelt geprüft. Ob wohl die Herren auch ihre Frauen zu Hause so liebevoll behandeln und zärtlich über das (Blech-)Kleid streicheln?

Ein Sternchen für den extraguten Zustand!
Nach der obligaten Magerstellung des Vergasers mit dem 8er-Steckschlüssel lag auch der Kohlenmonoxid-Wert innerhalb der Norm (fährt jetzt wieder wie ein Sack Nüsse und ab 80Km/h geht ihm die Luft aus) und ich durfte zur Kasse (die schwedische Obrigkeit mag kein Bargeld, da der Bürger ja auf die Idee kommen könnte, zu schummeln, deshalb akzeptieren mehr und mehr Geschäfte nur noch elektronische Zahlungsmittel) und erhielt nebst besten Wünschen einen kleinen Sticker mit einem Sternchen, der den Saab als Fahrzeug in besonders gutem Zustand ausweist! Mann, war ich stolz (meine Frau, die mich begleitete ebenso) und zufrieden rollten wir von dannen.
Das mit Torsten kam so: Die Menschen in Dalarna sind sehr freundlich und praktisch jeder hebt die Hand zum Gruss, wenn ihm oder ihr auf der Landstrasse ein Auto begegnet. Immer häufiger aber, wenn ich mit dem Roten unterwegs war, grüssten mich auch kreuzende Fahrer. Naja, die freuen sich halt über einen auch im schwedischen Strassenbild ungewöhnlichen alten Saab. Dachte ich.

Lokaltermin auf dem Hof von Torsten mit Autoparade
Das war aber nur die halbe Wahrheit. Der Vater unseres nächsten Nachbarn im Wald hatte sich kürzlich ein neues Auto gekauft. Genau, einen roten Saab 900 Sedan. Ok, ein Modell `89 und Schrägschnauzer aber immerhin so ähnlich, dass man die beiden verwechseln kann. Und dieser nette, 79-jährige Landwirt und Waldarbeiter, heisst: Torsten. Ein Hüne von Gestalt mit donnerndem Bass und Händen wie Schaufeln, stellte er seinen Citroën BX in die Garage und setzte lieber auf heimisches Gewächs. Abgekauft hatte er das Auto einer alten Dame für ein paar Kronen und das einzige worum ich ihn beneide, sind die kleinen Original-Raddeckel. Ihm geht es genauso und er ist ziemlich neidisch auf den Zustand seines Namensvetters (man beachte den verrosteten Tankdeckel beim „OML“ – wusste nicht, dass das geht.

Solche schwarze Buchhalterfelgen habe ich auch noch – auf die Edelstahlabdeckungen bin ich neidisch
Selbstverständlich fragte ich ihn, ob er mit der Benennung meines Saabs einverstanden sei, aber klar doch. Den gemeinsamen Fototermin fanden alle lustig und im Ort setzt sich langsam die Erkenntnis durch, dass man es mit zwei verschiedenen Autos zu tun hat. Der Kreis derer, die ich selber kenne und grüsse, wächst allerdings auch rasch – wir lernen immer mehr Nachbarn kennen und die ganze Jagdgesellschaft kurvt ja auch in der Gegend rum.

Die Alus am BSE sind zwar korrekte Epoche, gabs aber am Buchhalter original nicht. Dank häufigen Regens haben die Schweden übrigens Golfrasenqualität um die Häuser…
Seine Geländegängigkeit hat Torsten II auch schon unter Beweis gestellt und die sehr grosszügige Bodenfreiheit wirkt sich zwar negativ auf den CW-Wert aus, bei Wurzeln und ähnlichem ist er Gold wert. Einziger Schwachpunkt ist der sehr tief montierte Endtopf, da muss man trotz allem wachsam bleiben.
Natürlich stellt sich immer wieder die Frage, wie denn die Zukunft dieses Kleinods aussieht. Dass wir uns jenseits jeglicher ökonomischer Werte bewegen, liegt auf der Hand. Die einzigen Alternativen sind die Presse und allenfalls ein „Folkrace“-Enthusiast. Das ist hierzulande ein beliebter Freizeitvertreib – den aus den USA bekannten stock-car-races (als Kind fragte ich mich immer, was das bedeuten möge) nachempfunden. Diese Rennen waren der Tod von Tausenden von Saab 99, Volvo 140/240, Opel Ascona, Ford Escort usw. und das möchte ich ihm eigentlich ersparen. Ja, aber die Inspektion hat ja sogar ein Sternchen abgesetzt? Schon, aber das muss man etwas relativieren. Früher witzelte man, hier müsse nur das Warndreieck dabei sein und die Batteriehalterung nicht durchgerostet, dann geht das. Ganz so krass ist es nicht aber ich denke schon, dass TÜV- oder Strassenverkehrsamt-Beamte entweder blass oder rot im Gesicht würden, wenn ich dort mit Torsten anrollen würde. Beide vorderen Kotflügel haben nämlich unschöne Roststellen und auch im Rahmen hat es ein paar Rostlöchlein.

König Spachtel war hier mal zugange. Mittlerweilen ist das aufgeplatzt. Bin gespannt, was darunter zum Vorschein kommt
Nichts Tragendes und daher in Ordnung. Hier sieht man viele Autos deren Kotflügelränder mit Duct-Tape verpappt sind, damit man sich an den scharfen Rostkanten wenigstens nicht verletzt.

Ich vermute mal, Kategorie Luxusproblem und für den Praktiker lösbar
Im Sommer werde ich mit Dremel, Rostumwandler und sonstigen Hilfsmitteln erst einmal gegen den ärgsten Rost vorgehen, dann nehmen wir alles weitere wie es kommt.
Oh, schöne Geschichte! Hoffentlich sind dem schwedischen Übernachbarn noch ein paar fitte Jahre gegönnt.
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Ciao, danke für den Kommentar und die guten Wünsche!
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