Der Chef war der Grund. Damals, als ich meine Brötchen an der Konsumtouristengrenze Koblenz (nein, das schweizerische) verdiente, war der Chef gleichzeitig Linienbus-Halter, womit wir fast täglich in Kontakt kamen. Der Chef war sympathisch und schien als Besitzer einer kleinen Citroën–Garage vertrauenswürdig. Gleichzeitig war mein 440er-Volvo schon etwas morsch und ablösungsbereit. Ich beschloss also, das Sortiment des Chefs in Augenschein zu nehmen.
Weiss war er, mein damals ausgesuchter ’93er Xantia 2.0i. Mit der Luxusausstattung „VSX“, worin Klimaanlage, fernbediente Zentralverriegelung (Infrarot! Empfänger beim Innenspiegel. Man musste aus der Hüfte abdrücken wie John Wayne), elektrische Spiegel, Velourpolster, elektronisch regelbares Fahrwerk und Lederlenkrad mit Fernbedienung für die Audioanlage eingepackt waren. So wurden wir also Freunde, der Xantia und ich. Vorerst, wenigstens. Und nur für 3 Jahre. Aber stellen wir ihn zuerst mal vor:
Der BX-Nachfolger.
Der Xantia war ein wichtiger Schritt für Citroën. Man hatte mit dem XM drei Jahre zuvor eine Qualitäts- und Technologieoffensive gestartet. Der Xantia setzte sie fort und in Sachen Zuverlässigkeit noch einen drauf. Als Nachfolger des dünnblechigen Millionensellers BX musste er unbedingt Erfolg haben. Die Zutaten waren zunächst viel versprechend:
- gut verarbeitete Sicherheitskarosserie mit Heckklappe
- bestechend schönes, nicht zu skurriles Bertone – Design
- die damals besten Diesel-Motoren der Welt
- dank Cab-forward-Karosserie sehr gutes Raumangebot
- hohe Laufruhe im Innenraum
- die seidige, weiterentwickelte, elektronisch geregelte Hydropneumatik
- ABS und Seitenaufprallschutz
Kraft und Sparsamkeit.
Mit einem guten Motorensortiment zwischen 103-155 PS-Benzinern sowie 1.9 L-Dieseln mit und ohne Turbo war der Xantia schon zu Beginn leistungsmässig breit aufgestellt. Ein in den 1990ern angesagter V6 kam später dazu, gegen Ende der Baureihe der Common-Rail-Diesel Hdi. Meiner hatte den 2.0 8V, ein bekannter Konzernmotor, kultiviert und elastisch in jedem Gang in Fahrt zu bringen. Leider ohne wirkliche Rasse und Klang. Als zu kurz übersetzter manueller Fünfgänger eine leichte Fehlbesetzung. Eine Automatik hätte um Längen besser zu ihm gepasst. Es gab sie.
Eine Raumkapsel.
Wer jemals in einem Xantia hinten Platz nahm, konnte diesen Luxus kaum fassen. Sehr bequeme Rückbank, man sass hinten besser als vorne (!). Vor sich eine gestreckte Beinfreiheit und Taschen an den Rücksitzen, hinter sich ein Sonnenschutzrollo und die Füsse tauchten in einen dicken Teppich. Grosse elektrische Seitenscheiben zeigten die Landschaft im Kinoformat. Dazu ein praktischer, rechteckiger Kofferraum von 480 Litern. Kein Wunder, dass gefühlte 50% der Pariser Taxis Ende der 1990er-Jahre Xantias waren.
Ein Kurvenräuber.
Der Xantia hatte gute Voraussetzungen für eine satte Strassenlage mitbekommen. Eine Einzelradaufhängung mit passiv mitlenkenden Hinterrädern, Kurze Überhänge, die weiterentwickelte, berühmte Öl/Stickstoff – Federung, die man per Knopfdruck versteifen konnte. In „Sport“-Einstellung lag der Citroën fast wie ein Go-Kart, was mich immer wieder von neuem begeisterte. Nur bei sehr kühnen Fahrmanövern neigte er zum plötzlichen Ausbrechen des Hecks.
Ein Schmeichler für alle Sinne.
Schon beim Anschauen: diese Linien! Die gepfeilte Kante am Heck! Man musste ihn einfach schön finden. Bertone hat immer Recht. Einsteigen, die dicken Türen Stoff-gepolstert im selben Design wie die Sitze. Alles, wonach man Griff, war weich, angenehm und wertig. Elegant gestaltete Details fallen ins Auge. Die Audio-Fernbedienung im Lenkrad war etwas geniales für sich, genauso beleuchtet wie die ganze Batterie Schalter in der Tür und über der Mittelkonsole. Nachts funzelte ein beeindruckender Christbaum im Blickfeld, der teuer und progressiv wirkte. Das Beste aber: die Federung. Davon reden wir noch.
Skurrilitäten-Sammlung.
Kein Franzose ohne Eigenheiten. Zum Glück! Eine kurze Sammlung davon:
Handbremskehre? Unmöglich, wirkt auf Vorderräder. Türgriffe? Sind so rutschig, dass verschwitzte Hände die Tür bei Gegenwind kaum öffnen können. Airbags? Unnötig, fand Citroën und brachte sie erst Jahre später. Handschuhfach? Wer trägt denn heute noch Handschuhe. Da reicht das Format einer mittleren Stablampe. Dachträger montieren? Geriet zu einer Abend füllenden Tätigkeit. Fuss von der Bremse? Anders als erwartet, hebt sich das Heck. Warum? Weil der Xantia zusammen mit dem XM der letzte mit Zentralhydraulik war. Also Bremse, Lenkung, Federung, Niveauregulierung: alles am gleichen Ölkreislauf angeschlossen. Das führt zu einem Citroën-typischen, etwas eigenartigen Fahrverhalten. Mit Sicherheitsvorteilen, wie die Legende vom beschossen fliehenden Präsident De Gaulle und die Video-Links am Schluss zeigen.
Herausragend.
Aber auch kein Franzose ohne geniale Ideen. Schwere Gartenerde-Säcke einladen? Federung auf Stellung „tief“ , dann macht er sich gaaanz flach. Reinwerfen, ganze 510 Kilo Zuladung nimmt er. Fahren im Winter? Gute „Finken“ drauf und los geht’s. Traktion ist eine seiner grossen Stärken, mit höher verstellter Bodenfreiheit schafft er sogar leichtes Gelände. Gutes Licht? Stets vorhanden, dank Breitbandstrahlern. Und weil Strassenlage und Bodenfreiheit dank Niveauausgleich stets gleich bleiben. Elchtest? Aber bitte schön, noch heute ist der Xantia „Activa“ von 1999 mit Abstand der Schnellste: getestet im „Elchland“. Die geniale Seitenneigungskompensation des Topmodells steigert Sicherheit und Fahrspass nochmals enorm. Diese Version des Xantia ist die interessanteste. In der Schweiz gab es sie nur mit den stärksten Motoren: dem aufgeladenen 2.0 und dem damals neuen V6er.
Xantia Activa V6
Fahrerlebnis im frühen Xantia.
Einsteigen, in den Sitz fallen lassen…..Au, Enttäuschung! Was Citroën da „nach ausführlichen ergonomischen Studien“ als Sitz eingebaut hat, ist eine Zumutung. Zu klein, Kopfstützen zu tief, zu kurze Sitzflächen. Dafür haltbaren Velours à la Française. Doch erst einmal anschnallen. Mit dem Schlüssel zielen, anlassen: ghdghdghd-Brumm! Wenn Herr Celsius die Luft draussen als Nuller bewertet, passiert nun erst einmal nichts, was der Xantia mit einem grossen roten STOP im Blickfeld betont. Zeit, um die tolle Sicht nach vorn zu bewundern. Und nun….warten:
…………..fffdag (unvergleichliches Hydraulikpumpengeräusch) ……………………………….. ….fdag……….fdag…………fffffffknorz …………….Heck hebt sich laaangsam……………… …fdag…..fdag…ffffdag…….Front streckt die Beine. Fdag….. Ein sprechendes Auto. Teilt immer mit, wie es ihm gerade geht. Jederzeit, stehend oder fahrend. Im Moment friert es, das Herz pumpt mit Hochdruck Leben durch die Schläuche.
Puh! „La voiture“ meldet sich nach eeendlooosem Hydraulik-KALTSTART zum Dienst. Gemessene zwei Minuten in 10 Grad Kälte war mein Rekord. „Nichts bewegt Sie wie ein Citroën“… Rückwärtsgang hinten rechts einlegen, die Schaltung knorpelt. Kupplung kommen lassen, lenken – leeenken: wieso geht die Lenkung so schwer? Klar, das Öl hat es noch nicht bis zum Lenkservo geschafft. „Hetz mich nicht!“, scheint der Wagen etwas morgenmuffelig zu sagen. Los geht’s. Man könnte im Zweiten anfahren. Zur Kreuzung hin. Etwas bremsen – quiietsch! Ach ja, es ist ein hydraulischer Citroën. Sensibel. Da darf man nur mit dem Pedal sprechen, aber nicht nach ihm treten. Sonst reagiert es barsch, zufällige Mitreisende auch. Betreten sanft lasse ich ihn wieder anrollen und jetzt kommt’s: war da nicht ein Schlagloch? Fühlte sich eher an wie eine weggeworfene Kippe. Die Federung ist superb. Den Knick der Tiefgarageneinfahrt zu übergleiten ist jedes Mal ein besonderer Genuss . Man ist sogar versucht, extra Schachtdeckel und Randsteine zu überfahren… Schwellen sind bis zu einem gewissen Tempo auch lecker. Wer aber meint, fiese Autobahnfugen im Citroën vergessen zu können, erlebt eine leise Enttäuschung: da patzt die Hydropneumatik nämlich und poltert. Ansonsten ist sie im Xantia grossartig. Auch weil er bei Unebenheiten nur wenig seitlich rollt und sich bei schnellen Autobahntempi automatisch strafft. Tacho 200 km/h sind im 2.0i drin. Fühlt sich stets sicher an.
Den vorderen Un-Sitzen zum Trotz ist die Limo wie erwartet ein Langstreckenauto. Ich fuhr sie einige Male über grosse Tagesdistanzen nach Frankreich und blieb stets erstaunlich ausgeruht. Die Audioanlage klingt relativ gut, die Lüftung lüftet den grosszügig verglasten Raum tatsächlich. Der Verbrauch blieb trotz kurzer Übersetzung im Rahmen: 7,3 Liter liess er sich im Schnitt schmecken. Vollgeladen mit Wein auf der schnellen Heimreise waren es vielleicht mal 9.
Seine Leidenschaft sind aber die französischen Landstrassen. Kürvchen da, Welle dort, kleines Loch. Da läuft so ein Xantia zur Hochform auf und zeigt den formidablen Kompromiss zwischen Komfort und Haftung.
Wieso wir keine Freunde blieben.
Jetzt kommt’s. ABS-Sensoren, Klimaanlage, Warmstartprobleme, Zylinderkopfdichtung bei nur 85000 km, Federkugeln nachfüllen bei km 89600, Oelverlust am Motor, Leck an der Zentralhydraulik. Nochmals ABS-Sensoren, Benzingeruch im Innenraum. Das alles häufte sich beim kaum siebenjährigen Auto innerhalb zweier Jahre an. Irgendwann hatte ich die Nase voll. Zu viel Schatten im Licht bei meinem Xantia. Er musste gehen.
Schlechte Haltbarkeit? Trotzdem ein Nein!
Citroën hat daran gearbeitet. Spätere Xantia ab 1995 sind gereift und sinken über Nacht auch nicht mehr ab wie ein altersschwacher Labrador. Der TüV-Report über die Mängel von Gebrauchtwagen listete den Xantia stets in den Top 30. Auch in den Foren wird er als robust und bei etwas Pflege zuverlässig beschrieben. Vor allem als Diesel (auch als Hdi) wäre er bereit für ein langes Leben. Solange die Hydraulik nicht leckt, kostet ein Satz Federkugeln nicht die Welt. Das hydropneumatische System gilt als ausgereift. Die Verarbeitung ist für französische Verhältnisse wertig und besser als beim durchschnittlichen Mittelklässler der 1990er-Jahre. Qualitativ sogar weit besser als folgende Citroën, denn nach dem Xantia ging es wieder eine Weile bergab.
In der Schweiz hatte er Erfolg, auch dank dem schönen Kombi, in Deutschland etwas weniger. Nach 8 Jahren Bauzeit und einem vorne optisch etwas verunglückten, zwischenzeitlichen Facelift machte er 2001 dem C5 Platz. Das brillante Activa-Konzept verabschiedete sich leider mit ihm.
Xantia Break
Meiner hatte das Pech, das manchmal an den ersten Baujahren klebt. Fast schon vermisse ich ihn ein wenig. Diesen vergessenen, interessanten Youngtimer. Wenn Sie einen guten finden: jetzt kaufen und aufheben!
https://www.youtube.com/watch?v=oZfB2sNEsU0
(Vergleichtest CX und Konkurrenten alle ohne ABS, spannend wird es ab Minute 8)
https://www.youtube.com/watch?v=7iarg2_RdOA
(Xantia Activa – Demo)
(Amüsantes Werbevideo aus den frühen 1970ern)
Bildnachweis: Citroën (Prospektfotos), 69biit, bibipedia
Xantia 2.0i 16V automatik exclusive Break bj 2001…. das bequemste, leiseste, und von der Straßenlage schnellste Auto das wir je hatten! Sitze sind für uns (1,75m) passend, eher wie im Clubzimmer als im auto das Gefühl, hinten massiv Platz.
220.000km, und allem geunke zum Trotz funktioniert alles, wirklich alles einwandfrei. Das alles für 850€
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Danke, Hartmut. Von solchen positiven Überraschungen höre ich beim Xantia immer wieder. Bei euch scheint es einer der letzten Gebauten zu sein, da waren die Sitze etwas besser.
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Die Xantias sind wirklich ein Geheimtip. Bisher die zuverlässigsten Citroen die gebaut wurden und die ich gefahren habe. 2 CV, GS, CX, BX, XM und dann 2 Xantias. Zur Zeit fahre ich einen 99 Break mit der 1,8i 16 V Maschine. Das Auto hat 2016 400.- EUR gekostet – 140 TKM und war wartungstechnisch völlig runtergeritten. Alle Federkugelen gewechselt + LHM ,Öl und den ganzen Inspektionszirkus für 500. EUR. Das Auto läuft seither wieder traumhaft. Nach einem unverschuldeten Unfall (Blechschaden 1600 +) ist das Auto jetzt noch 50.- EUR wert – also ich fahre praktisch kostenlos und absolut glücklich. Neuer TÜV wurde problemlos absolviert. Halte schon Ausschau für einen Reservewagen….
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Hallo Georg
Das hört sich gut an und spricht für diesen definitiv unterschätzten Wagen. Ich hoffe, der Xantia kommt auch mal in den „Olymp“ wo sich DS und CX schon länger aufhalten. 🙂
Grüsse
Marc
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Wirklich schönes Auto. Und schon Youngtimer… Wie die Zeit vergeht 🙂
Früher hatte ich solch einen Xantia mal. Hätte ich ihn mal behalten
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Der Wert mancher Dinge erschliesst sich erst, wenn sie nicht mehr da sind…
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Schön geschrieben, man kann es sich lebhaft vorstellen. Ich kenne nur den BX (war mein Fahrschulauto) und den CX Break näher. Den fuhr mein Vater seinerzeit, als ich meinen Führerschein machte. Die waren natürlich noch skurriler mit ihren Eigenheiten. Da wirkt Xantia, aber auch XM fast Mainstream;-)
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Danke! Ein CX steht auf meiner Bucketlist… Das ist natürlich in allem noch eine Stufe anspruchsvoller. Irgendwann kommt die Zeit…
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Irgendwie hätte ich auch noch Freude am CX. Aber wie so oft, mir gefallen halt viele Auto’s – und alle kann man leider nicht kaufen… 😦
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Wie wahr… seufz
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gut so, ich fahre meinen immer noch der ist jetzt 22 Jahre, ist und fährt noch wie am ersten Tag mit 183 050 km er ist 1.8 v8 Prestige 101 PS Verschleißteile alle neu und fährt und fährt……………
der Lack eins A kein Rost. Bauj,1.1995.
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Ein treuer Begleiter! Danke für den Kommentar.
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