Wir sind verwöhnt: Unterwegs in zwei gegensätzlichen VW.

Kalt. Das ist eine meiner frühesten Erinnerungen an eine Autofahrt. Logisch, ein Käfer von 1968 war’s. Schon rein physikalisch kann warme Luft nicht gegen den Strom fliessen: also verbleibt sie im Heckmotor statt den Gästen um die Füsse zu schmeicheln. Die Wolldecke aus dem Fach hinter den Rücksitzen zu ziehen war damals im Winter fast Pflicht.

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Diagnose: Motor hinten bringt keine Wärme nach vorn

Kalt. Resultat einer versehentlich zu tief eingestellten Klimaaanlage im Passat 2016 in den milden mediterranen Herbstferien. Das schon nach kurzen zwei Minuten: was für eine Leistung, die die Lüftung bei 28° Aussentemperatur erbrachte! Verglichen mit 40 Jahren zuvor.

Illustration eines Fortschritts der Technik. Aufgewachsen in einem Auto-freien Haushalt in der Ära von R4, 2 CV und Taunus, muss ich mich ab und an kneifen: ist das tatsächlich real, was da aktuell mobil verbaut wird? Brauchen wir das wirklich? Ist diese geballte Ladung Technik mittlerweile einfach selbstverständlich oder steigert sie tatsächlich Spass und Wohlbefinden an Bord?

Anlass für diese Gedanken waren zwei sehr unterschiedliche Mietwagen, die ich dieses Jahr kurz hintereinander zugesprochen bekam. Einzige Gemeinsamkeit: das Mutterhaus VW. Zuerst ging’s Up, dank Upgrade danach zum Passat Variant. Welcher hat mehr beeindruckt?

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Nüstern blähen, lauschige Frühlingsluft atmen auf Rügen: verkehrte Mai – Welt, im Norden mild, in Zentraleuropa war es unwonniglich kühl. Sonst nicht gerade Fan der nüchternen VW-Welt, war ich gespannt auf unser Auto auf Zeit. Den weissen Up. Fünftürer, el. Scheiben, Klima, Tempomat, Radio/CD, that’s it. Cool in weiss und schwarz, schön kontrastierend. Mehr braucht der Mensch nicht. Los geht’s. Den Dreizylinder-Benziner hatte ich schon früher im Polo kennen und schätzen gelernt, er klingt schön und hängt gut am Gas. Er wirkt also kräftiger als er ist.

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Flughafen Mallorca, Parkhaus P1, 3. Etage: suche nach Parkplatz Nr 73. Passend zur eingetretenen Nacht ist unser Miet-Schiff schwarz. Koffer parkieren, Hecktürschloss suchen: wo ist…? Ach, das Logo. Praktisch?! Geht so… Aufmachen, staunen: das Ende des Kofferraums ist unter dem sich darüber spannenden Rollo nicht absehbar . Also mal reinwerfen, die Teile, Klappe zu, einsteigen. Ich möchte den Sitz einstellen. Geht denn das nicht ohne gestarteten Motor? Nein. Das Drücken des Startknopfs lässt ganz Las Vegas erwachen: überall glimmt und glitzert es rund um mich herum. Als letztes den Schalthebel auf D einstellen und rollen lassen. Erstaunlich handlich, der Kombi. Bald liegt der Stau hinter uns, der Verkehr auf der Autobahn Richtung Süden lockert sich auf. Zeig mal, was du…. Nein! Das DSG schaltet prompt zwei Gänge hinunter, der Passat geht ab. Zuviel! Die ganzen zehn Tage werde ich nicht warm mit dem DSG. Oder es nicht mit mir…. Also wechsle ich in den manuellen Modus mit Schaltpaddeln. Womit ich übrigens gemäss Bordcomputer auf einer Vergleichs-Strecke (Autobahn, Landstrasse, Stadt) weniger verbrauchte als das DSG. Manuell geschaltet 5,7 Liter Diesel, automatisch 5,9. Respektabel für diese Wagengrösse.

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Kopfsteinpflaster. Ein nostalgisches Merkmal der Strassen Rügens. Damit eine harte Prüfung für die Federung des Up. Er löst das erstaunlich souverän, ohne grosses Dröhnen und zittern der Bauteile. Die gelb strahlenden Rapsfelder leuchten durch grosse Fenster hinein, die querenden Fussgänger auf der Kreuzung kann man sehen. Für ein modernes Auto ist dieser VW betont übersichtlich. Das gilt auch für die Bedienung, welche sich intelligent auf das Nötigste beschränkt. Doch es fehlt mir nichts. Sogar die Qualität im Innenraum ist punkto Verarbeitung und Design gelungen. Alles wirkt einen Tick professioneller als beispielsweise im gleich grossen C1 von Citroën.

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Schlaglöcher. Unterwegs auf mürben Nebenstrassen im Süden Mallorcas. Der Passat knarzt im Raum Fahrertüre. Der Dichtungsgummi scheint Spiel zu haben. Das stört mich ein wenig bei einem selbst ernannten Premiumauto. Auch, dass auf der Autobahn der Wind von sich hören lässt. Störend vielleicht, weil der Variant sonst so ruhig läuft. Möglich aber auch, dass da ein paar Sachen nicht so exakt verbaut sind. Was mich sonst noch stört: die fehlende Stufe zwei der Zündung, also Elektrik ein, Motor ruht. Für alles und jedes muss der Startknopf gedrückt werden und damit läuft unnötigerweise meist der Motor. Geht das nicht besser? Witzig auch: Zündschloss fehlt, einen klobigen Clip- „Schlüssel“ gibt es aber doch. Wohin damit? Der liegt dann halt auch noch irgendwo herum, weil er sonst im Hosensack drückt. Besser machen es die Franzosen: Chipkarte! Wenn wir grad noch am nörgeln sind: die unglaublich schweren Türen. Parken Sie mal quer zum Hang und versuchen Sie, bergseitig auszusteigen. Entsprechen Sie einem eher zarten Typ, wird Sie das Auto drinbehalten wollen. Ich bin auch eine Muckibude…

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Kurvig sind die Strassen Rügens auch dort, wo man es nicht erwartet: im Wald oder zwischen Feldern. Der Up macht mit und zirkelt dank seiner prima Lenkung flink um alle Ecken. Für so viel Elan hätte ich aber gern mehr Halt in den Sitzen. Diese sind knapp ausgeformt und geben dem Rücken wenig Stütze. Das ist schade. Eines der wenigen Downs beim Up. Ein weiteres ist der errechnete Verbrauch: 5,5 Liter Benzin. Das könnte aber an den vielen Kurzstrecken während unseres Aufenthalts liegen.

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Die Highline-Ausstattung beim Passat lässt schnell den Unterschied zur Kleinwagenklasse erkennen: alles ist feiner, bequemer und wertiger, aber auch komplizierter. Sind bei anderen feinen Autos zunehmend Touchscreens für die meisten Funktionen im Einsatz, erschöpft sich die Bedienlogik beim Passat in zahlreichen Knöpfen und Schaltern. In der Menge macht das die Bedienung nicht auf Anhieb greifbar. Trotzdem ist die Ergonomie VW-gewohnt gut. Womit wir wieder beim Verwöhnen wären: während der 10 Tage Benützung habe ich geschätzt nur die Hälfte aller Funktionen wirklich benützt. Der Rest war also Luxus. Dieser wird aber für meinen Geschmack hier generell sehr unterkühlt und nüchtern präsentiert. Klar kann der Passat fast alles überdurchschnittlich gut: er ist sehr geräumig, überaus komfortabel, ziemlich schnell und schwäbisch sparsam. Seine Audioanlage tönt auch noch sehr nett, aber: dieser Musterschüler mit den oben erwähnten Detailmängeln – wenn ich sie so mal nennen darf – hat mich trotzdem erstaunlich kühl gelassen. Er ist fast zuviel des Guten, löst bei mir keine „must-have-Gefühle“ aus. Dazu passt die schiere, unpraktische Oberklassengrösse, die den knappen Raum der mittelalterlichen Dörfer und mediterranen Städte Europas nicht würdigt.

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Anders beim Up. Der durfte tatsächlich vom nüchternen VW-Groove her wegentwickelt werden. Trotz dem pfiffigen Look aussen und innen wirkt er nicht modisch, sondern frisch. Er bietet einen sehr reellen Gegenwert, liegt bei allen Eigenschaften ein Stück über den Erwartungen und fährt gut. Gefühlt liegt das klar über dem Klassenniveau. Aus dem knappen Entwicklerbudget wurde hier das Menschenmögliche herausgekitzelt und feingeschliffen. Das hat mich beeindruckt.

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Fazit: ein Käferfahrer der 1970er würde staunen, wieviel Gegenwert er heute in einem Up! für dasselbe Geld erhalten hätte. Wir halten das alles aber für selbstverständlich und wollen immer mehr. Mehr Leistung, mehr Ausstattung, mehr Sicherheit. Es ginge gut mit weniger. Aber Fortschritt löst Verlangen aus. Ja, wir sind verwöhnt. Zeit, einmal darüber nachzudenken.  Oder zum Vergleich einen Käfer fahren.

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Ein sehr gutes Auto, aber weitgehend frei von Emotionen: der aktuelle Passat

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Microcar, aber überdurchschnittlich gut: der Up!

2 Gedanken zu “Wir sind verwöhnt: Unterwegs in zwei gegensätzlichen VW.

  1. Servus, den Up kann ich überhaupt nicht beurteilen. Die Aussage dagegen, daß der Passat ein völlig emotionsfreies Auto ist, kann ich unterstreichen. Ich durfte den fast neuen Passat Diesel vor einigen Monaten einige 100 km zum Abholen meines Nachbarn vom Flughafen fahren.
    Er lag ruhig auf der Straße, mit Tempomat und Rentnermodus (max. 130 km/h) lag der Verbrauch bei ca. 5 Litern.
    Ansonsten: Ein Arbeiter oder auch ein Beamter, der seine Arbeit sauber macht, aber ohne persönliches Wort oder einen Spaß. Irgendwie hab ich den Wagen einfach wieder vergessen.

    Und zum Käfer: Die Heizung funktioniert, wenn alles korrekt ist, bestens, zumindest seit 1964, als die Wärmetauscher modifiziert wurden.
    Daß die Heizung drehzahlabhängig und auch lastabhängig funktionert, liegt in der Natur der Dinge. Deshalb muß man im Stau halt ein bißchen Gas geben.

    Und wenn man weiß, wie man mit der Lüftung umgeht, ist auch die beschlagene Scheibe kein Problem.

    Viele Grüße Matthias

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    • Hallo Matthias

      Ich gebe Dir absolut recht, der Passat ist einfach zu langweilig für uns Autofans. Das ist zwar ein etwas merkwürdiger Vorwurf an ein Auto, aber das Fahren soll doch auch Spass machen. Da ist nur schon ein Audi 100/A6 deutlich emotionaler ohne sich in der Zuverlässigkeitswertung grosse Patzer zu erlauben.

      Das mit dem Käfer würde ich gerne mal selber testen, mir fehlt die Käfererfahrung leider noch komplett. Nur als Kind konnte ich öfters in einem 51er Brezelkäfer mitfahren.

      Grüess

      Marc

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