Mercedes W126 – die letzte „bürgerliche“ S-Klasse

Eine S-Klasse bürgerlich, schliesst sich das nicht aus? Nicht unbedingt, dieses Fahrzeug konnte im Vergleich zum Nachfolger W140 noch von jedem Mechaniker oder auch begabterem Laien gewartet werden. Besitzer waren oft Gastwirte (ich meine solche von seriösen Speiselokalen), leitende Angestellten etc. Man bekam ein richtiges Qualitätsauto, ideal zum Anhänger ziehen oder für lange Reisen. Die Repräsentationsfunktion der Baureihe W126 wurde auch gerne von Politikern in Bonn in Anspruch genommen.

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Wer sich in den 80ern oder 90ern die Tagesschau ansah, erblickte sicher einmal wöchentlich eine 126er Limousine, gerne auch mal in der Langversion. Auch wenn sich der Beitrag um irgendeinen Politiker drehte, die S-Klasse im Hintergrund wirkte einfach elegant und seriös. Als Kind kann ich mich vor allem an viele „126er“ der ersten Generation erinnern, die sich im Eigentum diverser erfolgreicherer Hoteliers befanden, lackiert in ziemlich bunten Farben, aber preisbewusst mit Kurbelfenstern ausgestattet waren.

Natürlich gab es auch die Breitbau-Modelle des Coupés oder auch tiefergelegte Limousinen welche bei selbständigen Unternehmern des horizontalen Gewerbes grossen Zuspruch fanden. Auf diese möchte ich aber in diesem Artikel nicht eingehen. Dieser handelt vom hier gezeigten Wagen, einem 300 SE aus dem Jahre 1991 und meinem ersten S-Klassen-Eindruck auf dem Fahrersitz. Ich kannte und schätzte bisher die S-Klasse von der Rückbank aus als Kind. Diese Erinnerung stammt allerdings aus den späten achtziger Jahren, es handelte sich um das Fahrzeug meines Onkels, einem nachtblauen 450SE der Vorgängergeneration W116.

Man öffnet schwere Türen und sinkt in weiche Ledersitze. Mir als ehemaligem W123-Fahrer wirkt der Innenraum auf Anhieb vertraut. Ich bin anfänglich nur irritiert über die vollständige Ausstattung und einen Tacho der bis 240 km/h reicht. Das kennt man aus dem oft karg ausgestatteten „Einstiegs-Mercedes“ nicht. Der grosse Mercedes fühlt sich nach einem Luxusauto an und ist es auch.

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Im Gegensatz zu einem Cadillac oder Jaguar kann er aber bedient und gefahren werden ohne die Betriebsanleitung studiert zu haben. Nur die Breite und Länge des Wagens braucht etwas Eingewöhnung. Dank seiner klar gezeichneten Karosserie, sind die Ausmasse aber mit etwas Übung gut einzuschätzen, auch ohne Peilstäbe, Parkpieper oder Kameras. Das Fahrgefühl ist mit amerikanischen Limousinen begrenzt vergleichbar. Zum Einen sind die Dimensionen ähnlich, die Automatik ist ebenso unaufgeregt wie bei einem Amerikaner, allerdings dreht der Motor auf der Autobahn viel höher, hier wäre eine etwas längere Übersetzung wünschenswert. Daher ist der Verbrauch des 300 SE mit 11.7 Litern um fast 3 Liter höher als beim Buick Park Avenue. Der Amerikaner profitiert hier von seinem Overdrive. Trotz aller Stammtischweisheiten, nicht jedes Amischiff ist zwingend ein Schluckspecht.

Der hier gezeigte Wagen hat bereits 361’000km auf seinem Tacho. Dem Wagen sind die Kilometer aber nur in diversen Rostflecken anzusehen, der Innenausstattung traut man höchsten die Hälfte der Kilometer zu. Hier zeigt sich, wieviel Aufwand Mercedes in die S-Klasse steckte, ein wahrlich feiner Wagen! Auch der Motor zeigt nach dieser Laufleistung keinerlei Müdigkeit und zieht zügig und vor allem ungewohnt leise hoch (wenn man an den 280E im W123 oder an den erwähnten 450SE zurückdenkt).

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Natürlich hat jeder Wagen auch Nachteile oder Schattenseiten. Im Alter offenbart sich wie erwähnt bei diesem Modell, wie leider bei allen Mercedes, dass sie sich der braunen Pest nicht gut erwehren können. Das können gleichalte Audis oder stellenweise auch BMWs deutlich besser. Für den Mercedes spricht dafür seine exzellente Teileversorgung. Nur schon ein TüV-Termin kann beim gleichalten Audi V8 Kopfzerbrechen auslösen, wenn gewisse Fahrwerkslager nicht oder zur Zeit nicht erhältlich sind.

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So stellt man sich einen Mercedes vor, robust wie eine Burg und der Stern ist stets gut sichtbar. Die Ausstattung lässt fast keine Wünsche offen, vom Schiebedach, elektrischen Fensterhebern bis zum elektrischen Heckrollo. Man muss sich aber bewusst sein, da hat der Vorbesitzer auf der Bestelliste viele Zusatzkreuze machen müssen. Gemäss dem Mercedes Neupreis-Rechner, müsste dieser Wagen 1991 neu 93’189.30 DM gekostet haben, über 20’000 DM über dem Einstiegspreis des 300 SE.

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Fazit

Wer bereit ist, einen etwas höheren Benzinverbrauch in Kauf zu nehmen und keine sportlichen Ambitionen hat, erhält einen feinen und qualitativ hochstehenden Reisewagen. Interessenten nehmen am Besten die exzellente Kaufberatung des S-Klasse Clubs an eine Besichtigung mit. Speziell an der Karosserie lohnt es sich, gewisse Punkte zu checken, damit der grosse Mercedes mehr Freude als Sorgen bereitet.

Heute kein Statussymbol mehr, die S-Klasse steht heutzutage genauso gut neben einem Dacia.

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Einreihung in der Verbrauchsstatistik von autosleben

  • Audi A2 1.4 TDI 2003 90 PS, 4.5l
  • Citroën C4 Cactus 2016 1.2 Turbo Benziner 110 PS, 5.1l
  • Opel Corsa C 1.4 twinport 2006 Benziner 90 PS, 5.6l
  • Audi A4 3.0 TDI cleandiesel Avant quattro Automatik 2013, 245 PS, 6.2l
  • Buick Park Avenue 1996 204 PS Automatik, 8.9l
  • Audi 80 quattro 5E 1983 Benziner 136 PS, 9.0l
  • Audi A6 2.8 quattro 1996 Benziner 193 PS Automatik, 9.6l
  • Audi Quattro Turbo 1983 200 PS, 10.3l
  • Mercedes 300 SE 1991 180 PS Automatik, 11.7l
  • Pontiac Firebird Formula 350 1975 175PS 14.5l

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Die bürgerliche First-Class-Limousine bietet sich jetzt an zum Einsteigen. Die Preise für gute Exemplare sind noch moderat, Ersatzteile verfügbar und Oldtimerzulassung oder Katalysator sind ebenfalls dabei. Gute Fahrt!

5 Gedanken zu “Mercedes W126 – die letzte „bürgerliche“ S-Klasse

  1. Hallo,
    ich hatte 2 st. einen 280SE von 84 und einen 500SEL mit Hydropneumaticvon 91 mit voller Hütte.
    Es sind zweifels ohne sehr schöne Autos, fahren möchte ich keinen mehr.
    Die mangelhafte Karroseriestrucktur (erste Leichtbauauto vom Daimler) mit ihren knarz Geräuschen macht mich fertig.
    Warum Braucht ihr mit einem A2 TDI 4,5liter?
    Gruß Frank

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