Bühne frei für einen selten(en) grossen „Youngtimer“: den letzten Saurer – Stadtbus

Saurer

Der letzte Saurer-Stadtbus, gebaut 1976-84

Wer von Youngtimern redet, meint in der Regel PWs. Es gibt aber auch noch die ganz GROSSEN Autos. Die, die es verdient haben, sollen hier auch ein Plätzchen erhalten. Zum Beispiel der mit dem Namen SH 560-25. Im besonderen derjenige meiner Jugendzeit aus Schaffhausen.

Ich bedaure, keinen Bus – Führerschein zu haben. Darum ist dieser Beitrag aus Sicht des Fahrgasts.

Die Schweiz leistete sich bis Anfang der 1980er Jahre eine eigene Lastwagenindustrie. Bis zuletzt waren die Produkte daraus qualitativ und technisch hochwertig. Aber aufwendig zu produzieren und daher teuer.

Bemerkenswert ist die Tatsache, dass beide verbliebenen Hersteller gemeinsam endeten: in einem Joint-Venture namens NAW mit der LKW-Sparte von Daimler-Benz. Aber das ist eine andere Geschichte.

Die Ostschweizer Adolph Saurer AG war bis in die Sechziger Jahre zusammen mit FBW aus Wetzikon (Zürich) quasi Monopolist für Schweizer Stadt- und Linienbusse. Der Entwicklungsaufwand und die im internationalen Vergleich geringen Stückzahlen machten jedoch Saurer zunehmend zu schaffen. Ende der 1960er-Jahre zog sich die Firma darum aus dem Busbau zurück.

Aber Überraschung: nur ein paar Jahre später wagte sie ein Comeback. Der Grund: die Bushalter waren mit den ausländischen Produkten nicht glücklich und fragten bei Saurer vermehrt neue Produkte nach. Saurer reagierte zuerst über eine Zusammenarbeit mit der englischen-dänischen  Leyland-DAB.

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Saurer-Leyland Stadtbus für Genf.

Danach ergab sich nochmals eine Chance über einen Grossauftrag der Schweizer Post: sie wollte ihre „Schnauzen-Busse“ (Normallenker) der Nachkriegszeit ersetzen. Das war der  Startschuss für eine letzte, vollständige Eigenentwicklung.

Saurer gab nochmals Alles und stellte in Zusammenarbeit mit der deutschen Ernst Auwärter AG – ein Top-Chassis auf die Räder. Mit vorderer Einzelradaufhängung und Scheibenbremsen. Das eine Produkt daraus war der bekanntere RH (Postbus).

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Keine Passstrasse in den Achtzigern ohne den RH. Hier die schmälere Bergvariante 525-23.

Das andere Produkt der modularen Baureihe erschien dann 1976. Ein Prototyp eines neuartigen Stadtbusses, zunächst bei den Verkehrsbetrieben Zürich. Diese waren angetan und stellten 23 Exemplare in Dienst. Die städtischen Busunternehmen Schaffhausen (VBSH, 12) und St. Gallen (VBSG, 12) sowie die Post und die bernische STI stellten den gelungenen Neuling ebenfalls in nennenswerter Anzahl in Dienst. Dazu kamen etliche kleinere Busunternehmen, die vereinzelte Fahrzeuge kauften. Total kamen so um 70 gebaute Exemplare zusammen. Leider zu Wenige für eine gewinnbringende Zukunft im Busbau.

Aber was für ein Bus das war. Leise. Kräftig. Schön. Computerberechneter Zentralrohrrahmen. Doppelrohrauspuff. Rückfahrleuchten. Das entschlossene Gesicht mit den Brauen. Die schönen Trilex-Felgen von +GF+ (Schaffhausen). Der Verzicht auf die hintere Stossstange, ein Gewinn für ein bulliges Heck. Dazu der edle, gelb-silberne Anstrich der VBSH: diese helle Kombination liess ihn richtig herausstechen.

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Charaktergesicht

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Ablieferung 1978 vor dem Werk in Bellach.

Als 1978 das erste Fahrzeug in meine Heimatstadt kam, konnte ich den Fortschritt fast nicht glauben. Dazu muss man wissen, dass Schaffhausens Quartiere sehr hügelig sind. Die Busse müssen auf ihrer Runde ab dem Stadtzentrum etliche steile Strassen überwinden. Der Saurer war der erste Bus, welcher auch vollbeladen ohne erkennbare Mühe kletterte – und das leise, bequem und unglaublich gut gefedert. Er war auch der Erste, der im Winter dank Heckmotor nicht beim ersten Schnee stecken blieb.

VBSH 1960
Der Quantensprung beim Stadtbus Schaffhausen optisch umgesetzt: vorher…

VBSH 1978
nachher.

Noch heute erinnere ich mich gerne an den bassigen, kultivierten Sound des 250 PS – Heckdiesel, der die Fuhre über eine zeittypische Voith-Dreigang-Automatik kräftig antrieb. Natürlich mit Turbo, der am Berg nur kurz Luft holen musste, um dann eindrücklich zu schieben.

Wissenswert ist unbedingt, dass sich Saurer seit dem eingangs erwähnten Comeback auf den Chassisbau konzentrierte. Den Aufbau erledigten grösstenteils drei bewährte „Carossiers“: Hess in Bellach, Ramseier / Jenzer (RJ) in Biel und Tüscher in Zürich. Die meisten 560-25er wurden von RJ karossiert. Schaffhausen hatte neue Hess und Gebraucht-RJ im Einsatz.

Als Fahrgast empfand ich den Hess-Aufbau als überlegen: die schönere Optik, eine praktischere Einteilung und grosse Türen machten die Hess-Fahrzeuge charakteristisch und beliebt. Was für ein Komfort: Wandteppiche, gut (leider etwas rutschig) gepolsterte Sitze, wirksame Heizungen, genügend Halteanforderungstasten, geschäumte Querstangen im Stehbereich. Ebenfalls neu: tiefe Einstiege vorn und mittig. Der Kinderwagen musste nur drei Tritte hochgehievt werden. Der Boden stieg dann gegen hinten leicht an, um der Technik im Heckbereich Platz zu lassen. Ebenfalls top: kein Klappern, kein Ächzen und praktisch keine Alterung bei guter Pflege.

Innenraum

Innenraum vorne
Jeder Benutzer der heutigen Busse kann davon nur noch träumen. Alle die Citaros, „Stadtlöwen“ (MAN Lion’s City) und Setras sind ja verglichen mit früher unglaubliche Klapperkisten. Schade, dass sich Masse und nicht Qualität durchgesetzt hat.

Zeitgemäss gestaltet war der Arbeitsplatz des Fahrers. Warum aber mittendrin ein „veraltetes“ Lenkrad ohne Umschäumung und Prallfläche steckte, verstand ich nicht. Der gleichzeitig gebaute RH (Postauto) hatte ein moderneres. Trotzdem waren die Fahrzeuge auch bei den Fahrern sehr beliebt.

Cockpit

Fahrerplatz

Wer nun denkt, ich sei etwas gar patriotisch – schwärmerisch für dieses Produkt, dem halte ich meine anderen Bus – ErFAHRungen entgegen. Schaffhausen und Umgebung hatte eine bunte Palette an Typen zu bieten. Man konnte in den Achtzigern verschiedene Generationen von Büssing, FBW (beide in Zürich), Leyland, Mercedes, Setra, Scania, Volvo und sogar SISU (kennt die Finnen jemand? Hand hoch?) fahren. Keiner überzeugte mich aber so sehr wie der Saurer. Achtung, ganz subjektiv jetzt: DER BESTE EUROPÄISCHE STADTBUS AUS KUNDENSICHT ANFANG DER 1980ER. PUNKT. Sorry, liebe deutsche Leser, aber eure zeitgenössischen Einheitsbusse konnten einpacken. Gegenteilige Meinungen werden aber gerne angehört…

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Zwischenstation Gebrauchthändler…

1984, im einem bitter kalten Winter, stellten die VBSH ihre letzten zwei SH (passend, nicht?) in Dienst. 2007 war dann leider fertig lustig. Der zweitletzte ging mit Motorschaden, der letzte war dann wohl zu unwirtschaftlich. Somit ging die Aera Saurer zu Ende. Aber halt, St. Gallen hatte doch noch…. Tatsächlich, die Olmastadt hütete ihre letzten Saurer noch etwas länger. Als letzte Stadt hatte sie noch 2005 eine komplette Busflotte schweizerischer Herkunft (Saurer und NAW). Da waren ihre SHs schon reife 22 Jahre alt…

Weil es eben die Letzten ihrer Art waren, blieb dank engagierten Leuten der eine oder andere erhalten. Bus Nr. 19, später Nr. 40, existiert noch und kann in seiner Heimatstadt nach wie vor erlebt werden. Etwa einmal im Jahr darf er eine öffentliche Runde drehen. Interessiert? Hier ist der Link. Zu einem historischen, prächtigen Stück Busbau.

Und hier bewegte Bilder.

Die Geschichte vom Hersteller Saurer kann im sehenswerten Saurer-Museum in Arbon nacherlebt werden.

Fotonachweis: Roman Wegmüller, Stadtarchiv Schaffhausen

5 Gedanken zu “Bühne frei für einen selten(en) grossen „Youngtimer“: den letzten Saurer – Stadtbus

  1. Sehr schön geschrieben! Man könnte fast meinen, ich hätte das geschrieben als alter Schaffhauser… 🙂 Kann mich noch sehr gut an die gelben, vor allem aber auch an ihre Vorgänger die blauen erinnern! Ein SISU Bus stand doch immer hinter dem Bahnhof, beim alten Bushof (da wo jetzt diese hässlichen Gebäude stehen), war der nicht auf der PTT-Strecke nach Hemmental im Einsatz?

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    • Danke schön, „alter Schaffhauser“! Die blauen Busse des Betreibers Rattin wären sicher auch noch ein Artikel wert. Aber dafür müsste tief in den Archiven gewühlt werden…Vielleicht mal nach meiner Pensionierung 😊.

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    • Ah, ja, die SISU. Meines Wissens waren es drei: zwei Blaue, unterschiedlich aufgebaut, und ein postgelber. Mutmasslich nach Ablieferung der ersten gelben Saurer wurde einer der blauen auf postgelb umgespritzt.
      Der einzelne Blaue verblieb als Einzelstück im Bestand der VBSH und lief bis ca. 1988/89.

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  2. Was meine Erfahrungen mit den deutschen Einheitsbussen angeht, bin ich einfach zu jung um mich wirklich gut daran zu erinnern. 😉

    Immerhin waren diese Standard-Buss (https://de.wikipedia.org/wiki/Standard-Bus) ein wichtiger Schritt um die große Typenvielfalt der Nachkriegszeit einzudämmen und dem wachsenden Personennahverkehr der 70er Jahre Rechnung zu tragen. Neben Solofahrzeugen gab es die Standard-Busse auch als Doppeldecker und Gelenkfahrzeuge – sogar als Trolleyausführung mit elektrischem Antrieb.

    2011 habe ich ein solche Exemplar noch selbst in Sarajevo erleben dürfen.

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    • Einheitsbusse: als Rationalisierungsmassnahme sicher richtig. Ich bin mir aber nicht sicher, ob jeder Hersteller dabei wirklich sein Bestes gegeben hatte. Andererseits steckten wir Schweizer sicher in einer geschützten, spezialisierten und teuren Mikrokultur. Das konnte nicht ewig so weitergehen.

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